Sophie Scholl
Felde unbesiegt«, aber von der Heimatfront im Stich gelassen worden waren, rächen und wiedergutmachen. Auch für diesen Mythos wurden Hitler und die NSDAP zum Resonanzboden, träufelten permanent Gift in die Wunden, die der Erste Weltkrieg geschlagen hatte, während demokratische Politiker sich mit dem schwierigen Geschäft der Versöhnung abmühten.
Gab es denn keine Stimmen einflussreicher Bürger und Institutionen, die vor den Demagogen warnten, sie demaskierten und die Republik verteidigten? Thomas Mann hatte sich vom unpolitischen Zeitgenossen zum überzeugten Demokraten gewandelt. Am 17. Oktober 1930 trat er im Berliner Beethoven-Saal in seiner »Deutschen Ansprache, ein Appell an die Vernunft« für die bürgerlichen Freiheiten ein und gegen das »Seelendunkel«, das den »Geist als lebensmörderisch verpönte«. Wie allein er mit dieser Meinung stand, hat sein Sohn Klaus Mann im Nachhinein beschrieben: »Der Aufruhr im Saal brach los, als der Redner das deutsche Bürgertum mit dringlichem Ernst ermahnte, Frieden zu machen mit der organisierten Arbeiterschaft und die Idee der sozialistischen Demokratie endlich zu akzeptieren, auf dass die Schmach und Katastrophe des Dritten Reiches verhindert werde.«
Zu den wenigen Institutionen, die eindeutig und geschlossen gegen Hitler und die NSDAP Stellung bezogen, gehört die katholische Kirche. Im September 1930, im Hochgefühl des Wahlsieges, fragte die NSDAP-Gauleitung Hessen beim Ordinariat des Bistums Mainz an, ob es richtig sei, dass kein Katholik Mitglied der Partei sein dürfe und in diesem Fall von den Sakramenten ausgeschlossen bleibe. Der Vertreter des Erzbischofs nahm in seiner Antwort noch einmal die entscheidende Frage auf: »Darf ein Katholik, der sich zu den Grundsätzen dieser Partei bekennt, zu den heiligen Sakramenten zugelassen werden? Wir müssen dies verneinen.« Bei dieser Antwort blieb die katholische Kirche bis zum März 1933.
Große Teile der evangelischen Kirche dagegen erfasste die Stimmung, Zeuge einer schicksalhaften Wende zu sein und sich ihr nicht entziehen zu dürfen. In der Landeskirche von Braunschweig erklärte die Mehrheit der protestantischen Pfarrer im Frühjahr 1931: »Für die evangelische Kirche wäre es ein schwerer Fehler, wenn sie an der nationalsozialistischen Bewegung vorbeigehen wollte, ihr neutral, kühl, unbeteiligt, ablehnend gegenüberstehen oder sie gar von Kirchen wegen bekämpfen würde … Es sind viele Fäden, die sich zwischen dem, was der Nationalsozialismus will und dem, was die Kirche will, hin und her spinnen …« Das war keine Einzelmeinung.
Im Herbst 1931 sprach der evangelische Pastor, ehemalige U-Boot-Kommandant und NSDAP-Wähler Martin Niemöller im Rundfunk. »Ruf nach dem Führer« hieß die Sendung, und Niemöller fragte: »Wo ist der Führer? Wann wird er kommen? Unser Suchen und unser Wollen, unser Rufen und unser Sehnen bringen ihn nicht herbei. Wenn er kommt, wird er ein Geschenk Gottes sein.« Eine fatale theologische Gleichung wurde da aufgemacht; geradezu eine Einladung an Adolf Hitler, sich diesem »Rufen und Sehnen« nicht zu entziehen, das ihn als Führer mit einem göttlichen Nimbus umgeben würde.
Nicht zuletzt unter den Offizieren der Reichswehr, auf die der Nationalsozialismus angewiesen war, wollte er ohne Bürgerkrieg an die Macht kommen, verbreitete sich eine fatalistische Stimmung, als ob Gewalt als Mittel der Politik auch im Innern unausweichlich sei. Im Juli 1931 schrieb der Reichswehroffizier Claus Schenk Graf von Stauffenberg an sein Idol, den Dichter Stefan George, zu dessen ausgewähltem Jünger-Kreis er zählte: »Das unvermeidliche wird doch kommen und dass es auf einige jahre und einige menschenleben und schicksale mehr oder minder nicht ankommt glaube ich inzwischen gelernt zu haben.«
In Berlin kam nach der Septemberwahl 1930 keine regierungsfähige Koalition zustande. Reichskanzler Heinrich Brüning von der katholischen Zentrumspartei regierte erst einmal – wie die Verfassung es erlaubte – mit sogenannten Notstandsverordnungen. Die SPD tolerierte Brünings Notstandsregime, um Schlimmeres zu verhüten. Doch bald zeriss diese pragmatische Politik die Sozialdemokratie; sie spaltete sich – wieder einmal. Die neue linke Partei nannte sich Sozialistische Arbeiterpartei (SAP); auch die Sozialistische Arbeiterjugend zerfiel in einen rechten Flügel und einen linken Anhang, der die SAP unterstützte.
Die Kommunisten verfolgten diese Selbstzerfleischung mit
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