Sophie Scholl
der Ausführung seiner Pläne, die sich weder von Loyalitätsrücksichten noch von moralischen Erwägungen beirren ließ.«
Mit dem Jahr 1924 hatte es für die Republik von Weimar eine scheinbare Wende zum Besseren gegeben. Die Inflation wurde von einer stabilen Währung ersetzt; es gelang, die mörderische Gewalt von links und rechts auf den Straßen zu beenden. Behutsam, aber entschlossen begann Außenminister Gustav Stresemann Deutschland wieder in die internationale Gemeinschaft zurückzuführen; überzeugt, dass eine Politik der Kompromissbereitschaft dem Land Ansehen und konkrete Vorteile bringen würde. 1926 erhielt er für seinen völkerverbindenden Einsatz mit seinem französischen Kollegen Aristide Briand den Friedensnobelpreis.
Doch die Sehnsucht nach dem starken Mann wucherte weiter in allen politischen Lagern Deutschlands, in allen konfessionellen Vereinigungen.Sie stieg an den Lagerfeuern des »Wandervogels« und der »Bündischen Jugend« in die Nacht: »Wir heben unsre Hände / Aus tiefer bittrer Not, / Herrgott, den Führer sende, / Der unsern Kummer wende / Mit mächtigem Gebot.« Das sang in ihrem Weihelied die Finkensteiner Singbewegung, die in den zwanziger Jahren das Volkslied wiederentdeckt und die »Jugendmusik« populär machte.
Adolf Hitler stand diesen Emotionen im Bereich der Politik, den pseudoreligiösen Erwartungen von Millionen Menschen nicht hilflos gegenüber wie die demokratischen Vertreter der Republik. Er bündelte sie und setzte ihnen in seiner Person ein Ziel. Er war darauf vorbereitet, seinen bisherigen Lebens- und Wirkungskreis in München zu verlassen und hatte keine Skrupel, sich als der Erlöser von allem Übel für das deutsche Vaterland anzubieten. Der Prozess gegen die drei Ulmer Offiziere vor dem Reichsgericht in Leipzig ist in dieser Entwicklung ein Wendepunkt. Adolf Hitler trat erstmals reichsweit als makelloser Bürger auf, warb eloquent für das Programm der NSDAP und gewann wie der Wolf im Schafspelz das verblüffte Publikum, das mit der »braunen Bewegung« vor allem plumpe Gewalt und fehlende Manieren verbunden hatte.
Sich von den drei Offizieren zu distanzieren, die geglaubt hatten, im Sinne der NSDAP zu handeln, kam ihm gerade recht. Sie wurden zu je achtzehn Monaten Festungshaft verurteilt. Der siebenundzwanzigjährige Richard Scheringer machte im März 1931 noch einmal Schlagzeilen. Enttäuscht vom scheinlegalen Kurs Hitlers, ließ er im Reichstag durch den kommunistischen Abgeordneten Hans Kippenberger seinen Übertritt zur KPD öffentlich machen: »Ich reihe mich als Soldat ein in die Front des wehrhaften Proletariats.« Wir werden Richard Scheringer im engen Umkreis der Scholl-Familie wiederbegegnen.
Immer aggressiver marschierten mit Hitlers Billigung im Jahre 1931 die nationalsozialistischen Sturmtrupps von SA und SS durch die Straßen, zertrümmerten Lokale oder Kinos, in denen politische Gegner auftraten. Die Bombenattentate nahmen zu, um das Ende der Republik zu beschleunigen, während der »Führer« auf den Massenkundgebungen staatsmännisch auftrat und im kleinen Kreis vor Offizieren, Industriellen und Professoren eine gute Figur machte. Sein doppeltes Spiel ging auf, weil er erkannt hatte, dass Gewalt, mochte sie auf dumpfen Instinkten gründen, auch bürgerlich-intellektuelle Kreise über die Maßen faszinierte. Erich Maria Remarques Bestseller »Im Westen nichts Neues« (1929), ein Klassiker unter den Antikriegsbüchern, verstellt den Blick auf eine vielfach umfangreichere Literatur, die in der Weimarer Republik Krieg und Schlachten, Gewalt und Völkermord als Feuerprobe verherrlichte, die dem Manne Ruhm und Ehre, Rausch und Leidenschaft bescherte. Ernst Jünger, im Ersten Weltkrieg zweimal verwundet, war (nicht nur) in den zwanziger Jahren der Meister-Autor heroischer Gewalt-Literatur, der sich noch dazu eines feinen literarischen Stils rühmen konnte. Die Titel seiner Bücher sprechen für sich – »In Stahlgewittern« 1920, »Der Kampf als inneres Erlebnis« 1922, »Feuer und Blut« 1925.
Der Krieg als Befreiung, als große Schule, als Geburt des neuen Menschen und endlich der Soldatentod als Quelle des Lebens: Das wurde zur alltäglichen Lektüre junger Männer, die nie in einem Schützengraben gelegen hatten, nichts wussten vom schrecklichen »Tod im Feld« und in dieser Kriegsliteratur davon auch nichts erfuhren. Stattdessen wurden sie mit der Idee infiziert, ihre Generation müsse die Schmach der Väter, die 1914 bis 1918 »im
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