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Sophie Scholl

Sophie Scholl

Titel: Sophie Scholl Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Beuys
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– eine »heilige Familie« waren sie nicht.
    Die drei Schwestern – Inge, Liesl, Sophie – hatten ein gemeinsames Zimmer, auch wenn die elfjährige Sophie für die älteren Geschwister noch in einer anderen, kindlichen Welt lebte. Inge Scholls Tagebuch jedoch macht es möglich, dass wir schlaglichtartig erfahren, was Sophie Scholl im Familienkreis sah und hörte, wie die Stimmung zu Hause war und was die älteren Geschwister bewegte.
    Am 28. August verabschiedet sich Inge Scholl in ihrem Tagebuch mit eifrigen Vorsätzen in die Sommerferien: »Heute hab ich mit Weihnachtsvorbereitungen angefangen. … In den Ferien will ich aber auch täglich Mutter helfen.« Mit gutem Beispiel voran zu gehen, entsprach ihrer Stellung als Älteste in der Geschwisterriege. Und vorbildlich ist auch Inges gutes Zeugnis, das erste in Ulm. Doch ab dem Herbst und dem zweiten Schulhalbjahr läuft nicht alles nach Plan: »Ich habe oft gar keine Freude am Leben mehr. Vater ist wirklich furchtbar streng, fast zu streng – hat Sorgen – in die Schule geh ich auch nicht gern mehr.« Das ist die Gefühlslage der Fünfzehnjährigen am 27. November 1932. Zum Jahresende, 29. Dezember, heißt es noch einmal: »Vater hat wieder schwere Sorgen …« Das ist wahr, denn der Leiter des Ulmer Steuerbüros, der Robert Scholl vor noch nicht einem Jahr als Teilhaber einstellte, will sich in Stuttgart neu etablieren. Wird es Robert Scholl gelingen, die notwendige Summe aufzubringen, um ihn auszuzahlen und in eigener Regie selbständig zu werden, was er sich stets gewünscht hat? Bei fünf Kindern gibt es keine großen Rücklagen. Mit Hilfe der Verwandtschaft und von Freunden bringt Robert Scholl das Geld zusammen; ab Februar 1933 wird er das Steuerbüro alleine führen.
    Zwischen allen Sorgen notiert Inge Scholl am 11. Dezember, dem 3. Advent, einen Lichtblick: »Sofie sagt: ›Wenn ich an Weihnachten denke, dann kitzelt’s mich so, dass ich lachen muss.‹ Sie ist überhaupt ein sonniges Ding, Mutters Sonnenschein.« Steckt hinter der Bemerkung ein Anflug von Eifersucht auf die Jüngste, die es leichter hat, weil sie unbeschwert das Treiben der älteren Geschwister und die Spannungen innerhalb der Familie verfolgen kann? Weil Sophie im Gegensatz zu Inge seit Jahren von der Mutter verwöhnt wird? Mit fünfzehn, mitten in der Pubertät, wird Inge Scholl spürbar sensibler und verletzlicher für Stimmungen in der Familie. Und ihr Tagebuch spiegelt als »Familien-Thermometer« die Gefühlslagen wider.
    In späteren Jahren vergeht kaum eine Weihnachtszeit, ohne dass Sophie Scholl in ihren Briefen von der Familien-Weihnacht schwärmt. Am 26. Dezember 1932 schreibt Inge Scholl: »Vorgestern war Heiliger Abend. Wir sangen zuerst Lieder, dann ging die Schiebetür ins Wohnzimmer auf. Es war ein wunderbarer Anblick. Erst las Mutter das Weihnachtsevangelium. … Es war ein schöner Heiliger Abend, der erste in Ulm. Am andern Tag gingen wir in die Kirche.«
    Am 30. Dezember 1932 notiert Inge Scholl, was ihr der Jahresanfang persönlich Neues bringt – den Konfirmandenunterricht, »da freu’ ich mich ja sehr darauf, weniger auf die Schule«. Den Konfirmandenunterricht wird sie zusammen mit ihrem Bruder Hans besuchen. Aber der Blick in die Zukunft geht über den privaten Bereich hinaus: »Und dann kommt das Jahr 1933! Wieviel Neues wird es uns bringen! Und das muss doch endlich das Entscheidungsjahr für Deutschland werden.« Die Fünfzehnjährige hat ein gutes Gespür auch für die politischen Spannungen. Die Reichstagswahl vom 31. Juli 1932 hatte zu keiner funktionsfähigen Regierung geführt. Am 6. November gab es Neuwahlen.
    Unter dem 3. November steht in Inge Scholls Tagebuch: »Morgen kommt der Hitler nach Ulm und am Montag ist Wahl. Hoffentlich kommt es für Deutschland gut.« Ob Hitler nach Meinung der Schreiberin für Deutschland gut war? Die Frage muss offen bleiben, Inge Scholl macht dazu keine Bemerkung nach der Wahl. Die Verteidiger der Republik jedoch atmeten auf: Die NSDAP fiel von 37,4 auf 33,1 Prozent zurück; die Ulmer wählten mit 34 Prozent zwar auch weniger als im Juli, aber wieder über dem Durchschnitt nationalsozialistisch.
    Die überregionale Satire-Zeitschrift »Simplicissimus«, seit Kaiser Wilhelms Zeiten ein Sprachrohr gegen den autoritären Staat und für eine freiheitliche Lebensordnung, spottete: »Eins nur lässt sich sicher sagen, / Und das freut uns rundherum: / Hitler geht es an den Kragen, / Dieses ›Führers‹ Zeit ist um.«

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