Sophie Scholl
Öffentlichkeit sie als hoffnungslose Übertreibung beiseite schieben würde.
Unverfroren, tollkühn, genial, skrupellos – alles passt auf diesen Mann, der uns von nun an begleiten wird bis zum bitteren Ende des kurzen Lebens von Sophie Scholl. Adolf Hitler und seine Politik, seine Verbrechen und seine Verführungen: Das war die Macht, die sich in alle Facetten dieses Lebens drängte, die Denken, Handeln und Fühlen bestimmte. Eine Macht, die Sophie Scholl über Jahre nutzte, um ihre Fähigkeiten, ihre Begeisterung und ihre Ideale auszuleben, bis sie erkannte, wie böse und menschenverachtend diese Macht war. Dann versuchte sie – mit Gleichgesinnten – eine innere Gegenwelt zu schaffen und sich dem totalen Zugriff über ihre Gegenwart und ihre Zukunft zu entziehen. Bis aus dem anfänglichen inneren Widerstand im Kreis der Geschwister, der Freunde und Freundinnen beim Übergang in den engen Kreis der Weißen Rose die Tat entsprang.
Nicht nur von den Zeitgenossen ist Adolf Hitler unterschätzt worden, auch lange von den Historikern, die nach dem Ende des Dritten Reichs seine Person und das, was er ausgelöst, angestiftet und getan hatte, zu ergründen suchten. Ihn nicht zu dämonisieren, sondern nüchtern zu analysieren, heißt gerade nicht, seine Politik zu beschönigen, zu verharmlosen oder die verbrecherischen Eliten und Bürokraten, das ganze Volk der Handlanger, Mitwisser und Profiteure aus dem Blick zu verlieren.
Der schockierende Erfolg der NSDAP bei den Reichstagswahlen vom September 1930 hat mehr als mit allen äußeren Umständen – Wirtschaftskrise seit Oktober 1929, Arbeitslosigkeit, die erfolglosen Rezepte der demokratischen Parteien – mit der Person Adolf Hitler zu tun. Hitler hat die Partei, die nach dem gescheiterten Putsch von 1923 am Ende schien, als ihr Vorsitzender mit diktatorischen Vollmachten und eisernem Willen wieder aufgebaut. Er hat mit seinem außergewöhnlichen Redetalent – die Grundlage seines Aufstiegs – die Massen in Bann geschlagen und der Partei die Wähler zugeführt. Hitler entließ seine Zuhörerschaft mit der Gewissheit: Da ist einer, der mit harter Hand zupackt und nicht zögert und zaudert, wie diese Bedenkenträger, die Demokraten; der sich mit pathetischen Worten zu großen Zielen bekennt, während rundherum Politik als ein nüchternes, glanzloses Geschäft betrieben wird. Und zugleich vermittelte er jedem Einzelnen in der Menge das Gefühl, Zuversicht und Lebensenergie getankt zu haben.
Es war Adolf Hitler, der die Partei auf wenige, einfache Botschaften einschwor, mit allen psychologischen Mitteln arbeitete und nichts dem Zufall überließ. Die NSDAP bediente keine besondere Klientel, wandte sich an alle Schichten und Gruppen der Gesellschaft und wiederholte unermüdlich die Parole: Unter uns wird alles anders und darum alles besser. Nur in einem Punkt wurden die Partei und ihr Führer konkret und konnten es nicht oft genug unters Volk bringen: Die Juden und die Bolschewisten sind an allem schuld, und genau genommen gibt es zwischen ihnen keinen Unterschied – »Juda verrecke«. Hitler appellierte an primitive Ressentiments und nutzte modernste Technik. Vor ihm hatte kein Parteiführer je ein Flugzeug bestiegen, um so viele Menschen wie nie zuvor mit seinen Kundgebungen zu erreichen und symbolhaft wie der leibhaftige Retter von oben zu den Massen zu stoßen. Er stilisierte sich bewusst als der Einsame, von einem Geheimnis umgeben und von Kräften, die ans Magische grenzten. Er war der »Führer«, erst innerhalb der NSDAP, dann nach außen. Auch das war kein Spleen, keine persönliche Marotte.
Als exzellenter Kenner der deutschen Geschichte urteilt der Historiker Gordon Craig über Hitlers Bedeutung und seine Persönlichkeit: »Unter allen herausragenden Gestalten der Weimarer Epoche ist nur er es, von dem man mit Bestimmtheit sagen kann, dass er politische Genialität besaß. … In seiner Person verbanden sich unerschütterlicher Wille und ebensolches Selbstbewusstsein, ein wunderbares Zeitgefühl, das ihm sagte, wann er warten und wann er handeln musste, eine intuitive Fähigkeit, die Ängste und Ressentiments der Massen zu erspüren und in Worte zu kleiden, die aus jedem, der einen Grund zur Klage hatte, einen Helden im Kampf um die Rettung der Nationalseele machte, eine versierte Beherrschung aller propagandistischen Mittel und Kunstgriffe, große Geschicklichkeit in der Ausnutzung der Schwächen von Rivalen und Widersachern und eine Skrupellosigkeit in
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