Sophie Scholl
solides Eheleben vorstellt: »Und Gesellschaften haben wir nicht, wenn solches später nötig wäre, so wüsste ich schon durchzukommen. Wir wollen nun glücklich miteinander leben, dies doch nicht ins Weite tun, sondern nur für uns und für die, die unserer Liebe bedürfen. Und wenn mir einmal dies nicht gelingt, so habe ich mich ja nur vor Dir zu verantworten.« Nach dieser kurzen Verbeugung vor dem Mann im Haus macht die zukünftige Hausfrau umgehend klar, dass sie im Haushalt ein gewichtiges, wenn nicht das entscheidende Wort zu sagen hat: »Sparen kann ich, vielleicht Dir nur zu arg. Gelt, gib jetzt nicht unnötig Geld aus für Geschenke für mich. Der Kleiderkasten ist schon recht, einen Küchentisch und Stühle reicht vor der Hand.«
Am 11. November reist Lina Müller von Künzelsau in das knapp vierzig Kilometer entfernte Steinbrück zu den zukünftigen Schwiegereltern. Ihre Kenntnisse als Krankenpflegerin sind gefragt. Noch am gleichen Tag schreibt sie Robert Scholl über den Zustand seiner Mutter: »Sehr entkräftet.« Am 14. November: »Mutter geht es ziemlich gleich, sie ist so apathisch und schläft viel. … Ich hoffe noch immer auf eine gute Besserung und Wiederkehr des Lebens.« Nur einen Tag später: »Ich glaube, mit Mutter geht es immer mehr bergab.« Robert Scholl schreibt postwendend an »Frl. Lina Müller«: »Morgen Abend sehen wir uns, falls ich in Urlaub darf.« Linas Brief vom 17. erreicht ihn nicht mehr in Ludwigsburg: »Fieber sehr hoch, sie muss viel leiden.« Am 21. November 1916 ist Christiane Scholl im Alter von sechsundfünfzig Jahren gestorben. Am 23. November, es ist ein Donnerstag, wird sie in Geißelhardt begraben. Der gleiche Tag, der gleiche Ort, an dem ihr Sohn Robert Scholl und Lina Müller heiraten.
Die Zeit und die persönlichen Umstände sind nicht nach einer Hochzeitsreise. Für alle wird es selbstverständlich gewesen sein, dass die neue Schwiegertochter – Frau Lina Scholl – sich eine Weile um den Haushalt des verwitweten Schwiegervaters kümmert; noch dazu, da ihr solche Hilfe von Berufs wegen vertraut ist. Robert Scholl muss zurück ins Lazarett nach Ludwigsburg; er ist für einen Sanitätskurs in Tübingen vorgeschlagen worden. Auch auf diesem Gebiet nicht ohne Ehrgeiz, wird er es zum Sanitätsunteroffizier bringen.
Für Lina Scholl bedeutet die Ehe Familiengründung, und sie sieht sich schon »beschäftigt, Dir und unsern Kindern ein schönes Heim zu schaffen. … Wollte Gott, dass bald Friede werde und wir dieser schönen Zeit näher rücken. Inzwischen wollen wir aber auch jedes an seinem Ort seine Pflicht tun«. Pflichterfüllung schließt die Sehnsucht nicht aus: »Ich freue mich sehr, bis Du am Samstag kommst. Da wirds aber spät werden, bis wir schlafen.« Und auch nicht das Interesse an anderen Dingen: »Vater freut sich auf seine württembergische Zeitung, ich auch. Wo liest denn Du jetzt Deine Zeitung?« Da sind ein Mann und eine Frau zusammengekommen, die – bei aller Sehnsucht nach Kindern und Familie – über Heim und Herd hinaussehen und Anteil daran nehmen, was in der näheren und weiteren Welt passiert.
Die Frage nach der Zeitungslektüre war für seine Frau keine Nebensache, dass wusste Robert Scholl. Immer wieder analysiert er in seinen Briefen die Weltlage, wie zu Beginn des Jahres 1917: »Hast Du die Rede Wilsons gelesen? Das ist mir politisches Evangelium. … Ich bekenne mich zu seiner Anschauung Punkt für Punkt, denn mit meiner Gesinnung ist man im Krieg doch ziemlich einsam, immer wieder muss man sich prüfen, ob man denn nicht einem dummen, unmöglichen Ideal anhängt.« Lina Müller teilt seine Hoffnungen auf eine Welt ohne Krieg und nationale Großmannssucht. Und wie war es wirklich bestellt um die Welt im Januar 1917, kaum zwei Monate nach ihrer Hochzeit?
Das vergangene Jahr hatte auf Europas Schlachtfeldern zu einer bis dahin unvorstellbaren Tötungsorgie geführt. Seit November 1914 hatten sich die deutschen Truppen und ebenso ihre Gegner, die verbündeten Franzosen und Engländer, in ihren Stellungen nördlich und südlich der französisch-belgischen Grenze eingeigelt. Das Jahr 1915 verging in dem Bemühen, die jeweiligen Stellungen in den kilometerlangen engen Schützengräben zu halten. Am 21. Februar 1916 blies das Oberkommando des deutschen Heeres wieder einmal zur Entscheidungsschlacht. Im Kampf um die Festungsanlagen oberhalb von Verdun starben bis Dezember 1916 insgesamt auf beiden Seiten der Front über 700 000
Weitere Kostenlose Bücher