Sophie und der feurige Sizilianer
heute immer weit von sich geschoben hatte. Dabei gab es für sie nach Arbeitsschluss nichts Besonderes zu tun, was meist dazu führte, dass sie allein in ihrem kleinen Apartment hockte und über ihre derzeitige Lebenssituation nachdachte.
Als sie jetzt dort ankam, klaffte vor dem Haus ein riesengroßes Loch. Nachdem sie den Spießrutenlauf durch eine Reihe grinsender Jugendlicher überstanden hatte, deren zotige Bemerkungen über ihr Hinterteil sie tapfer ignorierte, musste Sophie feststellen, dass es in ihrem Apartment weder Wasser noch Elektrizität gab.
Der Strom floss gegen elf wieder, das Wasser nicht. So putzte sie sich die Zähne mit Mineralwasser, krabbelte ins Bett und löschte mit einem tiefen Seufzer erleichtert das Licht. Erleichtert nicht nur, weil jeder Knochen in ihrem Körper vor Erschöpfung schmerzte, sondern weil sie ihr winziges, enges Schlafzimmer besser ertrug, wenn es dunkel war.
„Sehr schlicht, aber ich habe alles, was ich brauche“, hatte sie ihrer Mutter die neue Bleibe am Telefon geschildert. „Und ich bin in wenigen Minuten zu Fuß an meinem Arbeitsplatz.“
Der übrigens sehr viel besser war als erwartet.
Wenigstens verstummten die Gespräche nicht mehr, wenn sie einen Raum betrat. Anfangs hatte die lauernde Atmosphäre Sophie ziemlich bedrückt, doch sie verlegte sich darauf, den Kopf stets zu senken, wenn sie misstrauisch angestarrt wurde, ihr aufgetragene Dinge sorgfältig zu erledigen und jeden freundlich anzulächeln.
Die Feindseligkeit ihrer Kollegen legte sich, sobald sie mitbekamen, dass die Neue keine Arbeit scheute und sich nie beklagte, wenn sie auch noch Aufgaben von anderen übernahm.
Dabei fand Sophie auch etwas über sich selbst heraus, was ihr große Freude bereitete und sie sogar ein bisschen stolz machte. Sie besaß ein ausgeprägtes Organisationstalent. Zwar gab man ihr keine Möglichkeit, ihre künstlerischen Schwingen auszubreiten, wie ihr Vater es ihr in Aussicht gestellt hatte, aber es war ein Anfang.
Das Heimweh, unter dem sie seit dem ersten Tag litt, war zwar nicht weniger geworden, doch Sophie verbot sich jeden Gedanken daran, aufzugeben und nach Hause zurückzukehren.
Stattdessen träumte sie …
Meist von ihrer Mutter, wie sie in der gemütlichen kleinen Küche stand und all die leckeren Speisen zubereitete, die sie so schrecklich vermisste. Sie roch den Duft ihrer Lieblingsplätzchen und überlegte gerade, wie sie in deren Genuss kommen konnte, da klingelte das Telefon und zerstörte das Bild des trauten Heims.
Widerstrebend öffnete Sophie die Augen, knipste das Licht an und griff zum Hörer.
„Ja?“, murmelte sie verschlafen.
„Sophie! Gott sei Dank sind Sie da!“
Wo soll ich sonst mitten in der Nacht sein? hätte sie fast gefragt, verkniff es sich aber gerade noch. Denn ein größeres Armutszeugnis konnte sich eine dreiundzwanzigjährige gesunde Frau wohl kaum selbst ausstellen, oder?
„Amber?“ Sie rieb sich die Augen, schaute auf die Uhr und saß in der nächsten Sekunde kerzengerade im Bett. „Was ist passiert?“
„Alles!“ , rief ihre Chefin theatralisch aus. „Aber wir können es schaffen!“
Das ungewohnte „ wir“ weckte augenblicklich Sophies Misstrauen. „Was denn?“
„Nicht reden, nur zuhören!“, forderte ihre Chefin in gewohntem Kommandoton. „Um fünf Uhr dreißig müssen Sie im Flieger nach Palermo sitzen.“
Da stieß Sophie zischend den instinktiv angehaltenen Atem aus und lehnte sich entspannt zurück. Offenbar war sie wieder einmal zum Ziel eines albernen Scherzes auserkoren worden. Amber musste betrunken sein, obwohl man es ihrer Stimme nicht anmerkte.
„Na klar werde ich das“, versicherte Sophie ihrer Chefin und gähnte herzhaft.
Das mit Palermo war zumindest nicht aus den Fingern gesogen, schließlich hatte sie selbst den Flug für Amber gebucht. Alle im Studio spekulierten schon tagelang darüber, wie es ihrer Chefin wohl gelungen war, einen Auftrag von Marco Speranza zu ergattern.
Dem Marco Speranza , wohlbemerkt! hatte man Sophie hinter vorgehaltener Hand zugeflüstert, als würde sie ihn sonst womöglich noch mit einem anderen sizilianischen Multimillionär verwechseln.
Offenkundig hatte es in Ambers Studio bisher keinen persönlichen Kontakt zu ihm gegeben. Daher versetzte die Einladung nach Sizilien, wo man über die Grundrenovierung und Neuausstattung seines Familienheims verhandeln sollte, alle in einen wahren Freudentaumel. Selbst Sophie konnte sich dessen Wirkung nicht ganz
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