Sophies Kurs
völlig zu Hause fühlte.
Vater Matthieu schenkte Bruder Jude ein dünnes Lächeln, das fromme Zustimmung ausdrücken sollte. »Ein überaus ernsthafter und devoter junger Mann«, verkündete er leise. »Seine Spenden zur Unterstützung unserer Arbeit waren sehr großzügig. Er hat ausdrücklich darum gebeten, Euch vorgestellt zu werden, Bruder Jude.«
»Hat er Euch seine Bilder gezeigt?« fragte Bruder Jude zurück.
Der Priester verzog schmerzlich das Gesicht. »Für meinen Geschmack sind sie etwas zu modern«, meinte er. »Er malt in der neuen Stilrichtung aus Frankreich«, fügte er hinzu und rettete sich in ein Lächeln. »Nicht im Stil der alten Meister seiner Heimat.«
Bruder Jude schnalzte mit der Zunge. Er verstand so viel von Malerei, daß es gerade für den Anstrich einer Außentür gereicht hätte. »Heutzutage ändern sich eben die Dinge«, antwortete er unverbindlich.
In diesem Augenblick wurde Alexis laut. Sie hatte wohl Signor Pontorbo gesichtet, der sich an seinem Reittier zu schaffen machte. Das genügte, um Alexis gackern zu lassen, daß die Toten davon aufwachten.
Ich trat an den Abhang und rief ihr ein paar Worte zu, doch sie reagierte nicht darauf, und so war ich gezwungen hinunterzusteigen, um sie zum Schweigen zu bringen.
Der junge Mann kämpfte mit den Schlaufen seiner Satteltasche und hatte mir dabei den Rücken zugewandt. Ich sah, daß er einen kantigen Kopf hatte. Mit schmalen Lederriemen hatte er das weiche braune Haar locker zusammengebunden. Die Art, wie er dort stand, hatte etwas Ruhiges und Beherrschtes. Sein Inneres schien vieles zu verbergen – war wie eine alte weise Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückgezogen hat. Vermutlich hatte er meine Schritte vernommen, denn er drehte sich um. Zum ersten Mal sah ich jetzt sein Gesicht bei hellem Tageslicht. Es war sehr glatt, ausdruckslos und plump. Seine Nase hatte keinen Höcker, und mir kam er für einen Sizilianer ziemlich blaß vor. Doch seine Augen – liebe Leser, wie soll ich sie Ihnen beschreiben? Sie hatten die Farbe eines von Weiden gesäumten Teiches im Sommer und waren sicher ebenso tief. In der Tiefe dieser Augen waren sicher schon viele Dinge spurlos versunken.
Mir war aufgefallen, daß der Mann alles genau betrachtete. Meiner Meinung nach betrachtet man Dinge auf diese Weise, wenn man sich daran erinnern will, um sie später in einem Bild festzuhalten. Jetzt betrachteten wir uns gegenseitig über den Rücken einer kreischenden Riesenhenne hinweg.
Mir wurde bewußt, wie schmutzig ich aussehen mußte: das Haar rot von Rost wie das eines Indianers vom Henna, mein Kleid ein Fetzen, und wohl kaum sonderlich dezent, um die Wahrheit zu sagen.
Ich empfand das schreckliche Bedürfnis, laut herauszuplatzen vor Lachen. Statt dessen schalt ich Alexis: »Ein Spatz hat mehr Verstand als du«, zerrte an ihrem Strick und tätschelte ihren Nacken. Dabei sah ich die ganze Zeit über ihren Rücken zu dem Mann hinüber. »Worauf bist du denn eifersüchtig, du dummes Ding? Also gut.«
Ich hielt es für richtig, Alexis unserem Besucher vorzustellen und fragte ihn dann, ob sein Vogel auch einen Namen habe. »Nur einen marsianischen«, erwiderte er. »Und den kann ich nicht aussprechen.«
Mir wurde plötzlich bewußt, daß ich mit ihm in Englisch geredet und er mir in derselben Sprache geantwortet hatte. Als ich eine Bemerkung darüber machte, meinte er nur: »Ich komme eben viel herum.«
»Aber Sie sprechen es sehr gut.«
»Vi ringranzio, signorina«,
antwortete er. »Das ist Italienisch. Verstehen Sie die Sprache?«
Ich konnte nur den Kopf schütteln.
»Es bedeutet so viel wie: Meinen tiefempfundenen Dank, Miss Clare.«
Von dem Moment an, denke ich, mochte ich ihn, wünschte aber, er würde mich nicht so anstarren. Ich fürchtete, er würde mich glatt um meine Beherrschung bringen. Er trat auf mich zu und hob den Arm. »Erlauben Sie mir, Ihnen wieder zur Höhle hinaufzuhelfen,
signorina?
Die Felsen wirken recht – wie sagen Sie doch gleich? – tückisch.«
Ich wollte nicht, daß er mich berührte. »Ich lebe hier«, erinnerte ich ihn, übersah seinen Arm und begann den Aufstieg zur Höhle. »Es ist ganz einfach, sehen Sie nur.«
»Welch ein Ort!« rief er aus und folgte mir die Felsen hinauf, wobei er sorgfältig seine kleinen Füße setzte. »Signor Pontorbo, Sie haben den Wein vergessen!«
»Ach ja!« Er schlug sich gegen die Stirn und kehrte um.
Als er schließlich mit seiner Flasche in der Höhle eintraf, holte
Weitere Kostenlose Bücher