Sophies Kurs
emportrug.
»Laß mich runter, Gabrielle!« rief ich, wobei meine Stimme im Schlagen ihrer Flügel beinahe unterging.
»Dépose moi!«
Ich bin froh zu sagen, daß sie es schließlich tat, und wir landeten auf einen hohen Felsvorsprung. Von dort konnte ich den jungen Herrn in seinem langen Mantel und seiner Strickmütze, unter der das Haar braun wie Bier hervorquoll, gut erkennen. Er zeichnete etwas in ein kleines Skizzenbuch, das er am Sattelhorn befestigt hatte.
»Gabrielle«, flüsterte ich und rieb mir die Schultern. »Der Gentleman ist ein Vogelnarr!«
Ich mußte über meinen eigenen Witz lachen. Gabrielle begann zu krächzen, und ich geriet darüber in Panik. Ich warf meine Arme um ihren Hals und drängte sie, davonzufliegen, ehe er uns hörte. Beim Flug hielt sie mich eng an sich gedrückt und brachte mich durch die komischen Geräusche, die sie in mein Ohr blies, immer wieder zum Lachen.
Das nächste Mal sah ich Signor Pontorbo in Begleitung von Vater Matthieu, der Säule der Rechtschaffenheit von Toussous.
Vater Matthieus Augenbrauen waren abrasiert. Er trug weiße Handschuhe, und sein Rücken war vor Selbstgerechtigkeit steif wie ein Besenstiel. Wenn er mich in den Straßen von Toussous erblickte, hob er die Nase in die Luft und ritt vorbei. Die Städter ihrerseits mochten ihren säuerlichen Pfaffen kaum – was der Lebensmittelhändler einfach so deutete: »Die, die sie hierherschicken, haben sich zu Hause etwas zuschulden kommen lassen.«
Nur sehr ungern kam Vater Matthieu hinaus in den S. Charles Canyon – meist nur, um Bruder Jude die Beichte abzunehmen. Nach meinen Erfahrungen im Konvent weigerte ich mich zu beichten oder auch nur niederzuknien. Daher sprach er nur mit mir, wenn es sich nicht vermeiden ließ, und starrte mich statt dessen haßerfüllt an.
Er wußte, daß Bruder Jude mich nie anrührte und auch nicht den geringsten Funken Lust auf das selbstsüchtige, schlampige kleine Mädchen verspürte – ebensowenig wie auf die wilden Schönen des Schwarms mit ihren nackten Brüsten und Titanenschenkeln. Bruder Judes Gedanken waren auf ein höheres Ziel gerichtet. Trotzdem hielt mich Vater Matthieu diesbezüglich für suspekt, und er haßte mich, weil ich eine Tochter Evas war, die als erste an der Menschheit Verrat geübt hatte. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er mich nach S. Sebastien zurückgeschickt, um mich dort durch Schläge und Hunger zur Demut bekehren zu lassen. Doch der Bischof hatte gesprochen. Da war ich nun und lebte frank und frei – und zweifellos im Morast der Sünde.
Ich muß gestehen, es interessierte mich nicht für fünf Pence, was der gute Vater dachte. Er war ein Besucher – und die waren hier draußen selten. Sie boten eine Abwechslung vom ewigen Gärtnern und den vergeblichen Versuchen, die kleinen weißen Schlangen loszuwerden, die zwar harmlos waren, aber immer in mein Nest krochen. Als Vater Matthieu am Ende der Woche erneut auftauchte, kämmte ich mir mit den Fingern das Haar aus den Augen und stieg zu Bruder Jude hinab, nur um ihn zu sehen – ihn und seinen Begleiter, diesen jungen Herrn aus Sizilien.
Vater Matthieu stellte uns vor. »Signor Pontorbo, das ist Bruder Jude vom Leuchtenden Bogen – und dies ist sein Mündel, Miss Clare.«
Signor Pontorbo murmelte nur:
»Signorina«,
und verbeugte sich leicht. Danach rührte er sich nicht mehr, noch sagte er etwas, sondern hielt sich so sehr im Schatten, daß ich nicht einmal sagen konnte, wie sein Gesicht aussah. Nur einmal überraschte ich ihn dabei, daß er mich ansah, aber als ich ihn anlächelte, konnte ich nicht erkennen, ob er das Lächeln erwiderte.
»Ich bitte Sie beide um die Ehre, eine Tasse Tee mit mir zu trinken«, meinte Bruder Jude.
»Ich werde ihn zubereiten«, sagte ich rasch, was Bruder Jude dazu veranlaßte, die Augenbrauen zu heben und mich in unschuldiger Verwunderung anzublinzeln.
Dann ergriff Signor Pontorbo das Wort. Seine Worte kamen schnell und leicht. »Ich habe eine Flasche Wein in meiner Satteltasche, wenn ich so frei sein darf«, sagte er.
Vater Matthieu neigte den Kopf. Bruder Jude lächelte und gab mir ein Zeichen. »Sophie, wärest du so nett, hinunterzusteigen und sie zu holen?«
»Aber ich bitte Sie,
signorina,
das kommt überhaupt nicht in Frage«, rief der junge Mann schnell, verbeugte sich kurz vor den Anwesenden und kletterte selbst die Felsen hinunter. Ich konnte feststellen, daß er beweglicher war, als er wirkte, und sich in der marsianischen Schwerkraft
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