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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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er ein schmales Silbermesser aus der Tasche, schnitt die Bleiummantelung vom Hals und zog fachmännisch den Korken. Der Wein war kalt und süß. Nach einer Weile wärmte er Finger und Zehen. Vater Matthieu und Signor Pontorbo schluckten dazu eine Nitro-Pastille. Danach redete Vater Matthieu mit Bruder Jude über Bruder Lambert, der schon seit einer Woche vermißt wurde. Jetzt hatte ein Reisender ihn gefunden. Er lag mit dem Gesicht nach oben zehn Meilen weit draußen in der Wüste und starrte mit leergebrannten Augen in die Sonne.
    Bruder Jude erschauerte, als liefe ein Skorpion sein Bein hoch. »Tot?« fragte er.
    Vater Matthieu senkte den Kopf. »Ziemlich tot, Christus sei Dank!«
    Bruder Jude bekreuzigte sich. »Er muß allein dort draußen herumgekrochen sein, um einer heiligen Vision zu folgen.«
    Ich weiß, ich hatte meinen wenig hilfreichen Retter während meiner Zeit in S. Sébastien wirklich gehaßt, doch jetzt empfand ich seltsamerweise so etwas wie Traurigkeit. Zuletzt noch hatte ich von Bruder Lambert im Laden des Kaufmanns gehört. Eine Frau erzählte, wie er sich gegen den Hohepriester Keegheeta und den Götzendienst im Schwarzen Brunnen gestellt hatte. Natürlich hatte ich die Geschichte Bruder Jude erzählt, und auch Vater Matthieu kannte sie, das wußte ich.
    Jetzt beobachtete ich, wie diese beiden heiligen Männer versuchten, den gleichen Zweifel in ihrem Herzen zu verbergen. Auf dem Mars hat man manchmal solche Einsichten: Man erkennt plötzlich ganz deutlich, was andere Leute denken, was sie vorhaben – und möglicherweise war ich an diesem Morgen bei dieser Zusammenkunft besonders einfühlsam. Da er vermutlich von dem Gespräch nur das Wort Vision verstanden hatte, unterbrach Signor Pontorbo die beiden. Er pries die Ulsvar und ihr trügerisches Licht. »Der Himmel ist voll von Engeln«, erklärte er. »Doch die Felsen sind die Felsen der Hölle!« Er hob die Hand, als wolle er das Licht vor der Höhlenöffnung wie eine Motte aus der Luft fangen. »Ich werde ihn haben. Ich muß den Canyon S. Charles haben«, rief er großartig und verlegen zugleich.
»Con il vostro permesso,
Frère Jude.«
    Das sagte er, höchst verzückt und trotzdem sehr selbstsicher, wie ich ihn auch später kennenlernen sollte. Ich bemerkte, daß er, obwohl er seine Frage an Bruder Jude richtete, seinen Blick auf mich heftete, als ob er mich um die Erlaubnis bitten müsse, hier zu malen. Wieso, Signor Pontorbo, hätte ich ihn am liebsten schelmisch gefragt, denken Sie, der Canyon gehöre uns? Ich spülte mein Lachen mit einem Schluck Wein hinunter.
    Auch Vater Matthieu war nicht entgangen, daß der junge Mann mich anstarrte, und deshalb ergriff er das Wort. »Eins ist sicher, Signor«, meinte er zu seinem aufgeregten Begleiter. »Hier draußen ist es ratsam, nicht zu sehr unseren Augen zu vertrauen, sonst führen sie uns dorthin, wohin der arme Bruder Lambert gegangen ist. Wo Illusionen winken«, deklamierte er ernst und hob gleichzeitig warnend beide Zeigefinger, »dort wartet Satan.«
    Ich hatte mich schon gefragt, was es da draußen in der Wüste gab, das der junge Herr unbedingt malen wollte – es sei denn, es waren seine eigenen Mittagsträume. Um den Canyon herum dehnt sich das Land nach allen Seiten wie ein endloser Kopfschmerz. Da draußen gibt es nichts, das die Öde der Ebene mildern könnte, nichts als Silikatfelsen mit Kanten so scharf wie Messer. Kein Baum wächst dort, nur der graue Kaktus, vereinzelt oder in Gruppen, die plötzlich vor einem aufragen. »Organ-Kaktus«, nannte ihn Bruder Jude. »Ich wollte, wir könnten diese großartigen Pflanzenhymnen hören!« Hier und dort sproß dürres, vertrocknetes Riedgras zwischen den grünen Röhren, und die Wurzeln der kstryf-Büsche schliff der rauhe Boden ab. Der leiseste Windhauch pickte sie auf und rollte sie wie abgerissene Löwenzahn-Bällchen ziellos über den Sand, um sie unter den nächsten Kaktus zu wehen, wo sie dann wieder ihre Samen ablegten. Wirklich, der Mars ermutigt einen nicht gerade, Mutter Natur für zweckmäßig und gut zu halten, wenn man nicht gerade ein Mensch wie Bruder Jude ist.
    Trotzdem muß ich gestehen, daß sich die Engel in dieser öden Weite sehr wohl fühlten. Sie durchkreuzten sie längs und quer auf ihrer Suche nach Früchten und Beute, und es kümmerte sie wenig, wen sie beraubten. Manchmal ärgerte mich ihre Gemeinheit, aber das störte keinen einzigen von ihnen. Wie oft mußte ich zum Gemüseschuppen laufen und die Jungen

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