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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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versuchten, unseren Verfolgern zu entkommen. Eine Meile weit jagten sie uns, Gaston, Gabrielle und Hercule, und attackierten uns von allen Seiten. Ich war es, den sie wollten. Sie glaubten, ich gehöre zu ihnen, und schenkten daher meinem Flehen keine Beachtung.
    »Lassen Sie mich mit ihnen umkehren, Signor. Wir können an einem anderen Tag nach Io fahren.«
    Aber auch er schenkte mir keine Beachtung.
    Wir erreichten die erste der Schleusen, die den Wasserstand in den Hügeln regulierten. Das Glück war gegen uns. Schon die erste war geschlossen. Auf dem Wasser kamen wir nicht weiter.
    Signor Pontorbo sprang ans Ufer, riß seinen Tornister von der Schulter und hielt ihn in einer Hand, während er mit der anderen hastig darin herumwühlte. Die Engel segelten mit ausgebreiteten Schwingen vom Wasser her auf ihn zu und versuchten, ihn vom Ufer abzudrängen – weg von mir. Ich blieb dort, wo ich war, klammerte mich bebend an die Steinmauer des Kanals und suchte nach einem geschützten Platz.
    Ich sah, wie Signor Pontorbo die Hand hob und den Tornister beiseite warf. In meinem Kopf drehte sich alles. Ich hielt den Gegenstand in seiner Hand für einen Malpinsel – sicher glaubte ich, er wolle Gabrielle auf der Leinwand verewigen und würde noch enthusiastisch dieses Ockergelb und dieses gebrannte Siena preisen, während sie ihm schon die Krallen in die Kehle schlug. Ich sah ihn nur für einen kurzen Augenblick dort am Ufer stehen, die Beine gespreizt, den dünnen schwarzen Stab in der erhobenen Hand; und dann war Hercule über ihm und stieß ihn von den Füßen, daß er sich überschlug und auf dem Rücken landete.
    Ich glaube, ich habe geschrien. Jedenfalls hörte ich jemand schreien, aber vielleicht war es auch Hercule, denn in diesem Moment flammte ein kleiner Blitz auf, wie Wetterleuchten im Winter, und ein starker Brandgeruch breitete sich aus.
    Hercule taumelte rückwärts, überschlug sich mit ausgebreiteten Schwingen und stürzte mit einem heftigen Aufklatschen über die steinerne Uferbefestigung, an der die Schiffe gewöhnlich festmachten, ins Wasser. Dabei wurde ich völlig durchnäßt und schrie vor Schreck laut auf. Ich wischte mir das Wasser vom Gesicht, sprang an Land und suchte von dort aus das braune Wasser ab.
    Mein Engelfreund trieb sachte an die Oberfläche und blieb mit gekrümmtem Rücken, offenen Augen und weit aufgerissenem Mund am Ufer hängen. Er war tot.
    Die anderen kreischten gellend in ihrer Sprache und stoben in den Himmel hinauf. Gabrielle flatterte wütend über uns und verfluchte uns, wobei sie uns ihren Po zuwandte.
    Ich hörte einen hohen Ton wie das Summen einer Wespe und sah wieder dieses grelle Aufblitzen. Es kam aus der Hand von Signor Pontorbo. Mit zusammengekniffenen Augen erkannte ich, daß das helle Leuchten, greller als jedes Feuer, aus diesem Ding kam, das ich für einen Malpinsel gehalten hatte. Es hatte Hercule getötet. Hercule, der größte und stärkste von ihnen, war mit einem Streich gefällt worden. Und jetzt bedrohte der junge Mann die anderen damit und rief ihnen zu, sich vorzusehen.
    Sie flogen davon – verbittert und voller Furcht. Ihren toten Kameraden ließen sie im Wasser treiben wie einen riesigen leblosen Schwan. Signor Pontorbo kam zu mir herübergelaufen, riß mich in die Arme und rief: »Sind Sie wohlauf,
signorina?
Haben sie Ihnen weh getan?«
    Ich hatte immer noch einen leuchtenden Fleck vor meinen Augen – wie ein schimmernder Fisch. Die schreckliche Waffe war verschwunden – wohin, das wußte ich nicht.
    »Sie hätten ihn nicht zu töten brauchen«, rief ich und riß mich von ihm los; ich sagte noch vieles anderes, Sinnloses, und dann brach ich in Tränen aus.
    Er streckte wieder die Arme aus, um mich zu trösten, aber ich hob die Hand, und er erstarrte mit ausgebreiteten Armen mitten in der Bewegung, als habe ich einen Käfig um mich herum herbeigezaubert, drehte mich um, betrachtete den toten Hercule und schluchzte laut.
    Signor Pontorbo drängte mich zur Eile. Vor mir bestieg er das schwankende Boot. »Sie hätten uns beide mit ihren Mätzchen ertränkt«, meinte er nur.
    Sofort paddelten wir los und umrundeten den großen goldenen Körper von Hercule. Deutlich erinnere ich mich noch an den Geruch nach verbrannten Federn. Ich weinte und paddelte, paddelte und weinte.
    Mein Begleiter versuchte mich mit kalten Worten zu beschwichtigen. »Sie sind Tiere,
signorina,
wilde Tiere. Sie sind jetzt vor ihnen sicher.«
    »Sie sind keine Tiere«, protestierte

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