Sophies Kurs
Schlange wand sich noch einmal und erschlaffte. Ich trat über sie hinweg auf die Gangway. Noch nie in meinem Leben war ich trauriger gewesen.
Hinter mir bückte sich mein Verteidiger, um sein Messer aus dem Holz zu ziehen. Es war ein ganz gewöhnliches Messer. Offensichtlich hatte er seinen Lichtblitz nicht benutzt, um meine Gefühle zu schonen. Mir war es gleichgültig. Ich fragte mich nur, ob seine Sorge um mich und meine Interessen ihn so weit treiben würden, die ganze Bevölkerung des Sonnensystems auszurotten. Ich fragte mich, ob er nicht besser dem marsianischen Gott im Schwarzen Brunnen dienen würde.
Unter Deck war der Kreuzer enger als die
Halcyon Dorothy
von Miss Halshaw und Captain Estranguaro, aber auch sauberer. Das Zwischendeck war sehr niedrig, die Schotts waren aus dunklem Holz gefertigt. Doch ich nahm kaum Notiz von meiner Umgebung, hatte nur noch Augen für die Koje in der Heckkabine.
»Hier wohnen Sie,
signorina.«
Die Kabine war klein und unfreundlich – spartanisch, würde man sagen. Einen größeren Unterschied zur luxuriösen Kabine von Mr. Cox auf der
Unco Stratagem
mit ihren gediegenen Möbeln und den Samtvorhängen konnte man sich eigentlich nicht vorstellen. Trotzdem begriff ich, daß mir der Signor seine eigene Kabine zur Verfügung stellte. Aber im Moment war auch das mir egal, und ich brach beinahe auf der Koje zusammen. Er fragte mich noch, ob ich etwas essen oder trinken wolle, doch ich bat ihn, mich allein zu lassen. Er meinte, ich solle versuchen zu schlafen – als ob es einer solchen Aufforderung noch bedurft hätte –und verschwand.
Dem Captain hatte Signor Pontorbo aufgetragen, noch eine Koje für ihn im Gemeinschaftsschlafraum der Mannschaft aufzustellen. Mir wurde – allerdings erst viel später – klar, daß er bewußt sein Lager so weit wie möglich von meinem entfernt aufgeschlagen hatte – es sei denn, er hätte im Krähennest schlafen wollen. Ich hatte mich schon zusammengerollt und war eingeschlafen, kaum daß er die Tür der Kabine hinter sich geschlossen hatte. Durch die Tiefen meiner Erschöpfung aber konnte ich hören, wie er sich im Gegensatz zu mir höchst energisch an die Arbeit machte. Dabei war er viele staubige Meilen weit geritten, hatte den Tod aus der Luft bekämpft und ein Boot einen Berg hinauf gepaddelt.
Ich glaube, ich habe dann eine Weile geschlafen und wurde von einem durchdringenden Pfiff geweckt. Ich lag in meiner Koje und hörte zu, wie Captain Andreas in seiner fremden Sprache den Caeruleanern, die flink wie Affen einen Mast hochklettern und sich in den Spieren an ihren Schwänzen aufhängen konnten, rasch einige Befehle erteilte. In ihrer Heimatwelt leben sie oben in den Baumwipfeln. Nach einer kalten Nacht im Schutz des Blätterwerks hangeln sie sich bis ans Ende der Äste und strecken ihre kleinen blauen Hände der aufgehenden Sonne entgegen.
Das Schiff schwankte von einer Seite zur anderen und hob langsam ab. Ich war nun vollends erwacht und schob mich in der Koje auf die Knie. Ich spähte aus dem Bullauge und sah, daß die Eingeborenen herbeigekommen waren, um uns beim Ablegen zu helfen. Die Männer hielten die Taue, an denen sie wie Puppen hin- und herpendelten, als das Schiff sie von den Füßen hob. Ich konnte erkennen, daß sie den Mund zu dem üblichen »Zieht an – ho!« geöffnet hatten – nur daß sie diese Worte in dem für sie typischen Wimmern ausstießen. Diese Schauerleute hier waren nicht in der Lage, Shanties zu singen. Alle männlichen Arbeiter waren stumm, weil ihre Herren ihnen die Zunge herausgeschnitten hatten.
Schnell gerieten sie außer Sicht, und mich hielt es nicht mehr in der Koje. Ich warf einen Blick in den Kabinen-Schrank und entdeckte einen Helm sowie einen Leichtgewicht-Anzug, der mir einigermaßen paßte. Ich zog mich rasch an und stieg durch die Luftschleuse an Deck.
Die
Giaconda
stieg ohne Befeuerung auf und flog lautlos und dunkel dahin. Die Segel am Fockmast waren alle gesetzt.
Wir waren jetzt schon zweitausend Fuß hoch, und unter der Hülle dehnte sich die Wüste wie zerknittertes braunes Packpapier. Ich erkannte den Gah-Kanal als schimmernden Grünstreifen und fragte mich, wo ich wohl gelebt hatte. Wo lag der Canyon de S. Charles? Wo S. Sébastien? Die Stadt Ys konnte ich sehen –aus unserer Wüsten-Einsiedelei war sie uns immer so groß und so weit entfernt erschienen. Und jetzt maß sie kaum eine Handbreit. Die winzigen Zickzackstraßen waren gerade noch zu erkennen, und der schmale
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