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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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Nachbarn und Bekannten sagen konnte. Hinzu kam, daß ich niemals zuvor die Aufmerksamkeit eines jungen Herrn meiner eigenen Rasse genossen hatte, und vielleicht hatte ich auch ein ganz klein wenig Respekt vor ihm. War er ein Gauner, dann sicher ein geheimnisvoller und flotter – wie der junge Sindbad. Vielleicht war er ein schurkischer Geist in Menschengestalt – ein Genie – das Genie des Rings! Von diesen und anderen gewichtigen Gedanken abgelenkt, glitt mein Fuß auf dem losen Geröll aus, und ich konnte mich im letzten Moment fangen. Alexis gackerte, als ich mich mit dem Gesicht zur Felswand an sie klammerte. Mein Herz raste vor Schreck. Auf diese Weise würde ich nie bis zum Raumhafen, geschweige denn nach Io gelangen.
    Während des gesamten Abstiegs schimpfte Alexis. Sie fühlte, daß irgend etwas nicht stimmte. Immer wieder drehte sie sich um und wollte nach Hause. Ich mußte sie fast mit Gewalt aus dem Canyon de S. Charles treiben, entlang der Steinlinie, die den Wüstenpfad nach Coin Brut markierte.
    »Sie sollten sie zum Schweigen bringen«, meinte Signor Pontorbo und sagte dann überhaupt nichts mehr. Als ich ihn schließlich fragte, welche Wunder es dort auf Io gäbe und wie lange seiner Meinung nach unsere Reise dauern würde, gab er keine Antwort.
    Ich dachte, er rede vielleicht nicht mit mir aus Furcht, etwas zu sagen, das meine Meinung ändern könnte. Vielleicht war er auch beleidigt, weil ich ihm nicht völlig vertraute und ihm dankbar war, daß er mich hinter sich herschleppte wie eine dürre Eidechse an einer Leine. Ich kam nicht dahinter, was er dachte. Ich sah nur die Rückseite seiner Mütze und seinen langen Pferdeschwanz, der beim Reiten sanft auf und ab hüpfte. Alexis zeterte weiter und schwenkte die Schultern von einer Seite zur anderen, so daß ich ihr schließlich einen harten Tritt versetzten mußte. Unnötig zu erwähnen, daß das Reittier meines Begleiters sich selbst perfekt verhielt und Alexis' Wimmern in der stoischen Art über sich ergehen ließ, das seiner Gattung eigen ist.
    Nach einer Weile verließen wir den Pfad. Ich mußte einfach darauf vertrauen, daß der Signor wußte, wohin er wollte. Unter dem knallgelben Himmel schaukelten wir über die harten braunen Dünen dahin. Wie verkrüppelte Reithennen standen ein paar aufgegebene französische Pumpen gegen die grelle Landschaft, schweigend, verlassen, vom Staub halb begraben.
    Wir ritten den ganzen Morgen, ohne jemandem zu begegnen, obwohl ich einmal den Geruch eines Kochfeuers wahrnahm und hoch oben in den Hügeln das Geräusch einer Dampflokomotive hörte. Irgendwo spielte ein Ziegenhirt auf seiner Flöte. Aber ich befand mich schon jenseits der Grenzen der Welt, die mir vertraut war.
    Dieser Fremde nun, dieser angebliche Neuankömmling, führte mich eine weite Strecke am Gah-Kanal entlang auf direktem Weg zu der Stelle, an der die Einheimischen ihr Wachsried schneiden, es zu Bündeln binden und aus ihnen Boote bauen, Boote in der Form von Kanus. Die Einheimischen versteckten sich vor uns und beobachteten uns aus sicherer Entfernung.
    Signor Pontorbo schenkte ihnen ebensowenig Beachtung wie den Mäusen. Er dirigierte mich zu zwei Booten, die in einem Schuppen aus Zweigen lagen. Dort sprang er von seinem Reittier. Ausdruckslos wie ein Arzt musterte er mein Gesicht und sagte förmlich, nachdem er gesehen hatte, was er sehen wollte, oder nicht gesehen hatte, was er nicht zu sehen erwartete: »Helfen Sie mir bitte, Miss Clare.«
    Ich mußte ihm helfen, eines der Boote zu stehlen und es mit ihm die Uferböschung hinab zum Wasser zu schleppen. Niemand rührte sich oder versuchte, uns aufzuhalten. Der Platz wirkte völlig verlassen, als ob die Eingeborenen samt und sonders geflohen wären. Signor Pontorbo ging zum Schuppen zurück und holte die Paddel. In die Kuhle, in der das Boot gelegen hatte, warf er ein Goldstück. »Werden Sie endlich den Vogel los!« befahl er mir.
    Sein eigenes Reittier war längst verschwunden, nachdem er ihm einen Klaps auf den Hintern gegeben hatte. Alexis, diese dumme Alexis, die den ganzen Tag pausenlos gezetert und immer wieder versucht hatte auszubrechen – diese Alexis schien plötzlich einen Anflug von Loyalität zu entwickeln. Sie wollte nicht gehen. Sie folgte uns, während wir das Boot zu Wasser ließen, und verabschiedete uns unter lautstarkem Protest. Sie lief am Kanal auf und ab, als suche sie nach einem Abschnitt, wo es kein Wasser gab, um uns hinterherzueilen. Ich konnte Alexis noch

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