Sophies Kurs
ich und drehte mich zu ihm um. »Was wissen Sie denn überhaupt von ihnen? Wahrscheinlich doch nur, wie edel sie in dem herrlichen Wüstenlicht aussehen.«
»Ein Engel wird einen immer enttäuschen«, meinte er schlicht und endgültig, als habe er schon Hunderte kennengelernt und sei von jedem einzelnen betrogen worden. Ich wurde des Streitens müde und schwieg. Zumindest hatte ich jetzt volles Vertrauen zu Signor Pontorbo. Ich hatte vergessen, daß ein junger Mann, wenn er ein Held sein und junge Mädchen retten will, alles töten muß, das ihm in die Quere kommt. Ich hatte nun keine Angst mehr vor ihm, war aber traurig und wütend auf mich selbst, daß ich meine einzigen Freunde verraten hatte. Dabei war es kein Trost für mich, daß sie Hercule in ein, zwei Tagen vergessen haben würden. Ich würde nie vergessen, wie er in Thérsès Höhle hockte und ihre Babies an ihm herumkrabbelten, während er mir die feinsten Bissen eines rohen Ziegenschenkels anbot.
Wo die Engel nicht mehr ihren Fuß hinsetzen, sagen uns die Dichter, machen sich die Dummköpfe breit. Immer wieder trat ich tollkühn ins Fettnäpfchen. Tollkühn – das ist ein gutes Wort. Ich war eher kühn als toll. Aber verrückt genug, hinter meinem Schicksal herzujagen. Erst jetzt kam ich dazu, mich zu fragen, was Gabrielle wohl mit mir gemacht hätte, wenn sie mich hätte packen können, und ob Gaston mich wohl beschützt hätte, wenn die anderen in ihrem Zorn über mich hergefallen wären. Und ich fragte mich, wie dicht Mr. Cox uns wohl auf den Fersen sein mochte – ob er wohl anhalten würde, um den toten Engel zu betrachten, der im Wasser trieb.
Signor Pontorbo brachte mich den Kanal hinauf, vorbei an Bergen, die ich noch nie gesehen hatte und deren Namen ich nicht kannte. Wir begegneten niemandem, nicht mal einem K'mecki, und ich kam schließlich zu der Ansicht, daß niemand uns verfolgte. Es gab so viele Schleusen hier, daß ich froh war, daß wir sie nicht benutzen mußten, aber mir schmerzten die Arme vom Tragen des Bootes und vom Paddeln auf den Zwischenabschnitten. Das Boot war eigentlich ganz leicht, wurde aber beim Klettern immer schwerer, weil das Schilf sich voll Wasser saugte und meine Arme immer müder wurden.
Wir rasteten kurz, und Signor Pontorbo gab mir aus seiner Tasche ein paar zähe, getrocknete Kaktusstreifen zu essen. Wir sprachen wenig, sparten unseren Atem für die Arbeit und hingen unseren Gedanken nach. Ich für mein Teil versuchte mir vorzustellen, von welcher Seite Bruder Jude diese Katastrophe betrachten würde. Würde er nicht weinend für meine Seele beten und dem Schwarm erzählen, ich sei in die Hände Satans geraten?
Ich streckte meine müden Glieder auf dem harten Boden aus. »Wo haben Sie dieses Ding her?« fragte ich und meinte das Gerät, das Hercule gefällt hatte. Ich hoffte, es nie wieder sehen zu müssen.
»Alora,
von meinem Vater«, sagte der Champion und schenkte mir einen schnellen, stolzen Blick, ehe er sich wieder in die öde Landschaft vertiefte.
Später ließen wir das Boot in einem toten Seitenarm des Kanals zurück, wo sich nichts rührte und auch nichts darauf hindeutete, daß sich hier in den letzten zehntausend Jahren etwas gerührt hätte. Zu Fuß begannen wir den Aufstieg auf den nächsten Berg. Ich gab schließlich nach und erlaubte, daß der Signor meinen Arm nahm, um mir hinaufzuhelfen. Trotz meines geringen Gewichts hätte ich nicht gewußt, wie ich es anders hätte schaffen können. Ich war nahe daran, vor Erschöpfung zusammenzusinken, als wir auf eine Felsklippe hinaustraten. Ich begriff sofort, daß wir am Ziel waren.
Wir standen am Rand eines erloschenen Vulkans, meilenweit im Niemandsland. Unter uns kein einziges Anzeichen von Zivilisation außer der grauen Linie des Kanals, die sich in der Ferne im Unsichtbaren verlor. Der Himmel hatte die Farbe von schleimiger Erbswurst. Zu unseren Füßen krochen winzige braune Motten auf den dürren Halmen des marsianischen Salbeis herum.
Tief unten in den Krater geduckt lag ein verstecktes Dock, gerade groß genug für ein oder zwei kleine Schiffe. Eins lag festgezurrt an den Pollern. Die Segel waren gerefft und an Bug und Heck schwebten Hebeballons, schon prall gefüllt.
Staunend blickte ich einen Moment lang hinunter. Meine schlechte Laune war verflogen.
»Ist das Ihres, Sir?« fragte ich, während Signor Pontorbo mich zu dem Schiff hinunterführte, das schon vier Fuß über dem Boden schwebte und an seinen Tauen zerrte. Es war ein
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