Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
möchte nach High Haven«, sagte ich.
    »Miss Clare, dazu fehlt uns die Zeit!«
    Ich sah ihn scharf an. »Ich möchte dorthin. Sie halten so viel von Ihrem Vater, Signor. Ich möchte meinem zumindest auf Wiedersehen sagen können.«
    Er senkte die Lider. Nachdem die Reizung seiner Rasur abgeflaut war, gefiel mir sein neues Gesicht ganz gut. Ich hoffte nur, daß es diesmal wirklich sein eigenes war, daß nicht wieder ein anderes darunter zum Vorschein kam. Er redete mit mir, redete von »Notwendigkeit«, von »in Gefahr schweben«, und bat mich, ihm »zu erlauben, der beste Wahrer Ihrer Interessen zu sein ...«
    »Wer verfolgt uns?« fragte ich erneut und deutete durch das Bullauge. »Niemand! Den ganzen Tag haben wir kein anderes Schiff gesehen.«
    Oh, wie ihm das gegen den Strich ging! Ich erkannte, daß er, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, nicht eher ruhte, nicht eher davon abließ, bis es erledigt war. Da er, wie er selber behauptete, in seiner Aufgabe versagt und seine Pflicht nicht erfüllt hatte, entschloß sich dieser Mann Bruno, zumindest alles andere unter Kontrolle halten. Da gab es nichts zu diskutieren.
    Er legte die rechte Hand flach auf den Tisch. Die Finger deuteten in meine Richtung. »Wir müssen diese Route beibehalten«, erklärte er mir, »sonst wird man auf uns aufmerksam werden!«
    Er war gut darin, sämtliche Dinge fatal klingen zu lassen.
    »High Haven liegt auf unserer Route, Sir.«
    Er seufzte und hob die Augen zur Decke. Er beugte sich vor, spreizte die Hände auf der Tischplatte und schob sich von seinem Stuhl zu Boden. »Haben Sie noch genug zu essen,
signorina?«
fragte er aggressiv. Er hangelte sich in Richtung Tür. »Dann ist ja alles in Ordnung, wie?«
    »Signor ...«
    »Ich werde es Ihnen zeigen«, sagte er nur, ohne mich dabei anzusehen. Und weg war er.
    Da hockte ich nun, lauschte dem Muhen der Pumpe und starrte in die Tiefen der Nacht hinaus. Der Raum war so schwarz, daß man ihn fast greifen konnte: hart und glatt und fest wie Ebenholz. Auch die Sterne waren hart, still und kalt wie Diamantsplitter. Irgendwo dort draußen vollführte die Erde ihre Wanderung. Ich war sicher, mit einem guten Fernrohr würde man einen kleinen blauen Halbmond erkennen können, der mit seinen beiden Enden die Nacht ringsum auf die Hörner nahm.
    Bruno kam mit einer Karte und einem dicken roten Buch zurück.
    »Dieses Buch hier« – er tippte mit dem Stift darauf –»das sind Ihre Rossington-Tabellen, nicht wahr? Das ist das Buch, das der Captain benutzt, um unseren Kurs zu bestimmen. Alle Kapitäne benutzen es.«
    »Ich weiß«, sagte ich und nahm ihm die Karte ab. Unsere gegenwärtige Position war darauf markiert. Trotzdem erklärte er sie mir und las aus dem Buch Vektoren und Koordinaten vor. Ich suchte sie auf der Karte. Er sagte, ich müsse mich irren, doch ich bewies ihm, daß ich alle nach seinen Angaben richtig eingetragen hatte.. Ich folgte ihnen mit dem Finger und machte mit dem Stift ein Kreuz.
    »Woher wußten Sie das?«
    Ich schüttelte den Kopf. »Ich bin dort aufgewachsen, Sir.«
    Jetzt schüttelte auch er den Kopf, als ob das noch nicht überzeugend genug sei. Tatsächlich hatte ich nicht die leiseste Vorstellung, in welchem Quadranten mit all den rotierenden Welten High Haven liegen mußte. Ich wußte es einfach, spürte es in den Knochen. Die Zahlen waren dabei lediglich eine andere Ausdrucksform.
    Ich hatte meine Mahlzeit noch nicht beendet, mochte aber nichts mehr essen. »Mir schmerzt der Kopf«, sagte ich. »Ich möchte mich hinlegen.«
    Anscheinend war das die erste Bemerkung, die Brunos völlige Zustimmung fand. Er begleitete mich zu meiner Kabine und wickelte mich in die Decken, als befürchte er, ich könne mich im Schlaf erheben und über Bord in die Nacht hinausgetrieben werden. Ich schlief sofort ein und träumte von dem armen Hercule: Er trieb auf mich zu, und ich versuchte, ihn mit bloßen Händen aus dem Wasser zu ziehen. Obwohl er tot war, versuchte er mit mir zu sprechen, mir dringende Neuigkeiten mitzuteilen. Hercule, der gerade mal zehn Worte kannte und sie kaum aussprechen konnte.
    Ich erwachte erst, als wir in eine starke Strömung hinausstießen. Jegliche Schwerkraft war entschwunden, und die
Giaconda
ächzte und stöhnte in allen Fugen und Nähten. Vom Vorschiff glaubte ich rauhes Gelächter und eine geisterhafte Musik zu hören. Ich zog mir die Decken über den Kopf und schlief wieder ein.
    Als ich erwachte, stand Bruno mit einer Tasse

Weitere Kostenlose Bücher