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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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»Wie geht es Ihnen, Sir?« fragte Bruno in respektvollem Ton.
    Ebensogut hätten wir mit den Wänden sprechen können. Unter der schlaffen Haut spannten sich Papas Wangenmuskeln.
    »Ein Künstler, Mr. Farthing!« zwitscherte Kappi aufgeregt.
    »Es gibt kein Heilmittel – Sir«, brummte Papa, als habe Kappi von einem Arzt gesprochen. »Kein Heilmittel – gegen den Tod; keins – gegen die Zeit. Und schon gar keines gegen – Undankbarkeit!«
    Sein Blick fiel auf mich. Seine Augen flammten wie Kutschenlaternen. »Wer sind Sie, Miss? Ihr Gesicht kommt mir bekannt vor ...«
    »Spiel nicht mit mir, Papa. Ich bin kein Kind mehr.«
    Kappi schob sich zwischen uns, um ihn vor mir zu beschützen. »Er es nicht so meinen«, tutete er mißmutig. »Grund ist, er Sie nicht verstehen, Miss Sophie.«
    Doch ich war der Meinung, daß Jacob Farthing mich durchaus verstehen konnte.
    »Ich bin in London gewesen und habe das Haus gesehen, in dem meine Mutter lebte.«
    »Estelle«, jammerte Papa und umklammerte seinen Arm unter der Decke.
    »Nein. Ihr Name war Molly. Molly Clare. Versuch dich zu erinnern, Papa. Sie kam von St. Paul's. Rotes Haar«, sagte ich und berührte eine Strähne meines eigenen schwarzen Haares.
    Er schüttelte den Kopf, und seine Augen weiteten sich vor Furcht. »Fort mit dir, Dämon!« krächzte er. »Weiche von mir, du Phantom. Fort mit dir, du Undankbare!«
    Ich stand auf und trat einen Schritt zurück. »Ich werde tatsächlich gehen, Sir, und das sehr bald!«
    Er wurde plötzlich ganz aufgeregt und schaukelte in seinem Sessel vor und zurück, bis seine Fußspitzen den Boden berührten. »Du bist nicht wirklich«, rief er. »Du bist nur ein Traum! Ich habe keine – Tochter!«
    »Damit sagst du die Wahrheit!« Aber er war für mich nicht ansprechbar. Er hustete und keuchte und verlangte nach seiner Medizin. Sofort kam Kappi mit der Flasche und dem Glas und füllte mit unbeholfenen Pfoten einen Schluck hinein.
    »Laß mich das machen«, sagte ich. Doch kaum berührte ich die Flasche, schrie der alte Mann: »Hilfe, man will mich vergiften!«
    Fast hätte ich die Flasche nach ihm geworfen. »Besser nach draußen und weggehen!« flehte Kappi und verfärbte sich violett.
    Ich sah zu Bruno hinüber, der schon halb draußen war. »Wir werden jetzt hinausgehen«, erklärte ich Papa. »Aber nicht allzu weit weg.«
    Er spuckte, versuchte gleichzeitig zu sprechen und zu trinken. »Wir sind draußen vor der Tür«, sagte ich zu Kappi. Bruno kam zu mir und zog mich am Arm hinaus.
    Als die Eingangstür ins Schloß fiel, ließ ich meinen Tränen freien Lauf. Bruno legte die Arme um mich und drückte mich an sich. Ich lehnte mich an ihn und schluchzte. Er gab mir sein Taschentuch, merkte aber rasch, daß ich die Tränen nicht stoppen konnte. Jetzt drängte er mich, meinen ganzen Kummer herauszulassen, ermunterte mich sogar zum Weinen. Doch ich fühlte nur die tröstliche Wärme seiner Brust und seiner Arme, die mich hielten.
    Als ich mich schließlich beruhigte, hörte ich von drinnen wieder Papas wütendes Gezeter.
    »Kommen Sie!« meinte Bruno und führte mich die Werft hinunter, wo die Männer die Barken ausluden und miteinander scherzten oder sich beschimpften, während sie sich die Säcke auf die Schultern schwangen. Ich kannte sie, erkannte alle wieder, wußte aber von keinem einzigen den Namen.
    Am Signalmast blieben wir stehen. Ich fand eine Feige in meiner Tasche und bot Bruno die eine Hälfte davon an. Doch er mochte nichts essen, und ich auch nicht. Ich aß sie trotzdem.
    »Hatten Sie vor zu bleiben,
signorina?«
fragte Bruno. »Wie nennen Sie das doch gleich – in Ihren Hintergedanken?«
    Ich schüttelte den Kopf, wußte selbst nicht, was ich vorgehabt hatte. Ich war zu müde, enttäuscht und elend, um überhaupt einen Gedanken zu fassen. »Jetzt möchte ich wirklich gehen«, sagte ich. »Weglaufen und ihn mit seinen Problemen allein lassen.« Mit Schrecken sah ich zur Haustür hinüber. Zu dem Fenster im Nebenhaus, wo der Angestellte sicher alles beobachtete, wollte ich nicht hinschauen. »Ich hasse diesen Ort.«
    Bruno tätschelte resigniert meine Hand.
»Dunque,
lassen Sie sich Zeit«, sagte er. »Ich warte hier.«
    »Nein! Ich brauche Sie.«
    Er sah mich mit einem seltsam schiefen Lächeln an, als sei ich ein Kind und hätte voller Unschuld etwas ganz Wunderbares gesagt. »Schon gut«, meinte er warm. Als er sah, daß ich meine Fassung halbwegs wiedererlangt hatte, schlug er vor, wieder nach drinnen zu gehen.

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