Sophies Kurs
wenn Sie wollen. Oben links neben der Treppe.«
Er machte eine abwehrende Handbewegung. »Es ist Ihr Bett«, erwiderte er stur. Wir sahen uns gegenseitig an. Keiner wollte nachgeben, keiner wollte schlafen.
»Es ist schon Mitternacht.«
»Hier ist immer Mitternacht. Bitte, Bruno.«
Er zog eine Grimasse und gab zögernd nach. Mit einem galanten Abgang verschwand er nach oben und ließ mich mit Kappi allein.
Kappi bat mich, ihm zu erzählen, wo ich gewesen und wie ich nach Hause gekommen war. Also erzählte ich ihm von meinen Abenteuern, erzählte, daß ich vom Mars kam, wo ich bei den Engeln gelebt hatte, nachdem man mich aus dem Konvent geworfen hatte, und zuvor im Schwarzen Brunnen bei dem gefräßigen Gott gelandet war. Doch mein kleiner Freund tat sich schwer mit dieser verworrenen Geschichte. Er unterbrach mich dauernd und steckte öfter den Kopf zur Tür hinaus. Er schien mich nicht sonderlich gut zu verstehen. Schließlich sagte er, er müsse zur Arbeit. »Lampen anzünden.« Er schien erleichtert, daß er sich verabschieden konnte, war aber doch zu sehr ein Ophiq, um sich nicht ein paar ermutigende Worte einfallen zu lassen: »Alles niederschreiben seien gutes Gedenken.«
Kappi, hätte ich gewußt, was für eine Arbeit du mir aufgeladen hast – ich schwöre, ich hätte nie mit dem Schreiben angefangen.
So saß ich da, während Papa schnarchte und im Schlaf murmelte, und überlegte, daß ich diese Heimkehr eines Tages in meiner Geschichte beschreiben würde, und ich dachte an all die Leute, die darin vorkommen würden, an Miss Halshaw und den Büroangestellten in der Registratur, an die Rodneys und das Volk im
Anker der Hoffnung,
an Mrs. Rose und Mama. Ich kam zu der Überzeugung, daß Papa Mama schließlich doch geheiratet, sie aber dann mit eigenen Händen von High Haven in die Gosse von St. Paul's gestoßen hatte, weil er die schöne Miss Crosby vorzog. Ich stellte mir vor, wie sie, Estelle und Papa, auf ihrer Hochzeit tanzten, während Betty Pride und Mr. Cox und die gesamte Crew der
Unco Stratagem
sie hochleben ließen und Reis warfen. Der Reis verwandelte sich in der Luft in kleine farbige Fische. »Nein, Betty«, rief ich, »nicht sie! Sie hat nie geheiratet!« Und ich versuchte, Betty wegzuzerren, aber meine Hände waren wie aus Watte, und sie verwandelte sich in Gertie und lachte mich aus. Etwas später kam ich wieder zu mir und hörte, daß Papa zu mir sprach. »Sophie«, sagte er mehrmals mit schwacher, aber ziemlich klarer Stimme. »Du gehst zum Jupiter, um die Krone zu finden, nicht wahr?«
Ich zündete eine Kerze an und fragte, welche Krone.
»Die Beuritz-Krone«, antwortete er. »Die, die den Jupiter-Krieg auslöste. Du weißt doch – Maximilian von Beuritz gab sie seiner einheimischen Braut. Sie trug sie, als man sie an Land trug.«
Ich half ihm, sich aufzurichten. Seine Stirn war sehr heiß, die Hände dagegen eiskalt. Während ich das Feuer wieder anfachte, plapperte er weiter. »Wir alle haben s-sie gesehen. Sie öffnete die V-Vorhänge ihrer Sänfte und rief nach Wasser. Roger McMurdry brachte ihr eiligst etwas in einer Porzellantasse!« Er kicherte bei der Erinnerung. »Drei Monate später«, fuhr er fort, »war die Krone verloren, die Gräfin tot und das ganze Erevnine-Becken von den Hrad überrannt. Warst du nicht dort?«
»Graf Beuritz starb, ehe du geboren wurdest«, berichtigte ich ihn. »Möchtest du etwas Suppe?«
Listig sah er mich an. »Ach, du willst mich bloß vergiften ...«
»Du vergiftest dich doch selbst, du dummer alter Kerl.«
Er lachte, als sei dies ein netter Scherz. »Dein junger Mann ...«
Ich schürzte die Lippen. »Er ist nicht
mein junger Mann«,
wies ich ihn zurecht, holte ein paar Kerzen und zündete sie an.
»Wohin bringt er dich diesmal?«
»Zum Jupiter. Nach Io, genauer gesagt.« Und schon verfluchte ich mich innerlich. Dieses Detail hatte ich ihm nicht verraten wollen.
»Wozu?«
Ich füllte einen Kessel und setzte ihn auf den Ofen. »Um dort einen Brief zu lesen, sagt er.«
»Das ist nicht nötig. Er ist hier. Ich habe ihn. Kappi!« Er hob die Stimme, um sein kleines Arbeitstier herbeizurufen. »Er ist in der kleinen Dose hinter der Uhr. Du mußt nur richtig nachschauen.«
»Kappi ist schon seit Stunden weg. Wie ist es: Willst du nun etwas Suppe oder nicht?«
Er starrte mich an. »Du glaubst mir nicht. Ich habe den Brief behalten, hatte ihn immer.«
»Ja, Papa. Ich kümmere mich darum, sobald ich die Suppe fertig habe.«
Dann begann
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