Sophies Kurs
Fahne.
Das dunkeläugige Mädchen hat auch ihre Anhänger, und nicht nur unter den Frauen. Um sie hat es mehr Streitereien gegeben als um jeden anderen Kandidaten, aber sie lehnt immer wieder ihre Nominierung ab und zeigt bisher keinerlei Neigung, den Posten eines Mannes einzunehmen. Nur die Zuneigung der Presse und der Leute konnte sie nicht zurückweisen. Alle liebten sie von dem Tag an, an dem sie landete: Wie aufregend, wie einzigartig sie ist, die Navigatrice – eine Frau, die ein Schiff fliegen kann! Sie lieben sie wegen ihrer geheimnisvollen Art, wegen ihrer Treue, wegen ihres stillen Edelmuts, mit dem sie ihren grausamen Verlust erträgt. Einige reden sie mit Gräfin an, obwohl sie natürlich keine ist. Sie hat keinen Anspruch auf einen Titel oder auf Grund und Boden, obwohl der Steward weiß, daß sie über ein geregeltes Einkommen verfügt und exklusiv die Villa ihres letzten Cousins in Nizza nutzen darf.
Doch sind ihre Fähigkeiten jetzt nicht mehr so einzigartig. Seit dem dramatischen Auftauchen von Miss Sophie Farthing haben sich erst ein Dutzend, dann eine ganze Menge Frauen zum Talenttest im Aeryie gemeldet: Töchter aus bekannten Familien – um mit ihnen zu beginnen, dann die Stieftöchter, dann die Risikofreudigen, die Erwartungsvollen, die Betrügerinnen und die Publikumssüchtigen. Zweifellos gibt es Hunderte weiterer, von denen wir nie etwas erfahren, die ihr Leben lang nie mit den Füßen vom Boden abheben werden: das Heer unentdeckter Pilotinnen, verdammt dazu, nichts Außergewöhnlicheres zu steuern als einen Kinderwagen.
Natürlich werden heute alle Kadetten bei dem Festakt zugegen sein, Männer wie Frauen gleichermaßen. Trainingsflüge wurden abgesagt, und die Klasse der Himmelsmechaniker hat zu Ehren der Braut heute früher frei bekommen. Zu dieser Stunde ist sie selbst aber noch im Dienst. Sie sitzt mit Stift und Zirkel im Skriptorium und trägt die letzten Entdeckungen der Entdecker und Forscher aus den Westlichen Reichen in die Karten ein.
Der Vorstand und ihre Berater hielten es für das beste, sie während der letzten Tage mit dieser untergeordneten Tätigkeit zu beschäftigen. Es verleiht ihr die richtige Note von Demut und Pflichtbewußtsein. In diesen unsicheren Zeiten muß man an solche Dinge denken. Man muß die kritischeren Herren der Presse an verantwortungslosen Spekulationen hindern und die Würde der Gilde hochhalten. Für Gefühlsduselei und Jubelarien ist noch Zeit genug nach der Zeremonie, sobald der Mob im Hafen sie mit ihrem neuen Ehemann davonfliegen sieht.
Schließlich schwingen die Türen unter dem Schild ANKUNFT doch noch auf. Der Vorhang teilt sich, und die Menge bricht in Hochrufe aus. Da ist sie, in Person: die gefeierte Miss Evadne Halshaw, die Sirene des Aethers, in einem prächtigen pinkfarbenen Tüllkleid mit hohem Kragen und einem Mantel aus Leopardenfell. So hoheitsvoll, wie sie auftritt, könnte man sie glatt für eine der allegorischen Gestalten halten: Die Himmlische Harmonie in Begleitung eines Fauns.
Die Zuschauer werfen Blumen, den Tribut ihrer Bewunderung – Buketts aus Tausendschön von Cyther und Gladiolen. Sie öffnet die Sichtplatten ihres Helms und hebt ihre schlanke Hand zum Dank für den Applaus.
Miss Halshaws Begleiter ist ein Mitglied der Gilde: Captain Tobias Estranguaro von Caraway, ihr Geschäftsführer und der Pilot ihrer Yacht. In einem Blazer mit Messingknöpfen und Gamaschen aus Ziegenleder geht er neben ihr her. Sein Fell, die Schnurrhaare und sein Schnauzbart sind eisengrau. Mit gewölbter Brust stolziert er voran und steuert das Gefolge der Diva, indem er mit seinem Stock herumfuchtelt. Die Zuschauer in seiner Nähe, die wahren Ästheten und Musikfreunde, weichen zurück und halten sich das Taschentuch vor die Nase.
Unter vielen Verbeugungen und Ehrenbezeigungen geht der Marshal dem unpünktlichen Paar entgegen und begleitet sie zum Steward, der sie im Namen der Gilde förmlich willkommen heißt. Miss Halshaw, noch nie eine sehr konventionelle Frau, verärgert ihn, indem sie ihn einfach hochhebt und auf die Schnauze küßt. Er verfärbt sich malvenfarben, und die Menge johlt vor Freude.
Nervös bringt der Steward das Paar dazu, die Kutsche zu besteigen. Das Gefolge mit den Kisten, Hutschachteln und den Fächern aus Straußenfedern muß in Begleitung der Marshals dem Gefährt zu Fuß folgen.
Miss Halshaw winkt der Menge zu. »Toby, bist du auch sicher, daß wir die Hochzeitsgeschenke mitgebracht haben?«
Captain
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