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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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»doch sie gab mich weg, um mich vor dir in Sicherheit zu bringen!«
    »Vor mir ist man nirgends sicher«, erwiderte er lachend.
    Ich schickte dann tatsächlich ein Stoßgebet zum Himmel – nicht an Gott, sondern an einen Mann gerichtet, der über einer großen schwarzen Leere mit einem glühenden Feuer in der Tiefe auf einem höchst schmalen Pfad hinwegtanzte. Ich sah wieder Gertie und Abigail vor mir, und Mrs. Rodney, die ihre Arme um mich gelegt hatte, während wir zu dem Mann hinaufschauten: Mr. Spivey, seien Sie mit mir! Doch kaum waren mir diese stillen Gedanken durch den Kopf geschossen, fiel mir wieder ein, daß Jack Spivey abgestürzt war. Er war abgestürzt und gestorben.
    So blieb mir trotz meiner Wut nichts anderes übrig, als mich meinem wahren Vater zu stellen. Ich saß geduckt mit angezogenen Knien vor ihm, während er auf mich herabschaute.
    »Nun, wohin willst du dich jetzt noch verkriechen, Kindchen?« murmelte er, wobei er leise keuchte. Er fuchtelte mir mit der Schwertklinge unter der Nase herum und deutete auf die Brücke. »Wirst du mir nun den Gefallen tun und hinüberkriechen?« Seine Brust hob und senkte sich heftig infolge der ungewohnten Anstrengung und der schlechten Luft. Im schwachen Schein der Laterne sah ich, daß sein Gesicht rot angelaufen und schweißüberströmt war. Seine Augen glitzerten wie Edelsteine.
    Ich hatte gelesen, daß Mörder im Traum immer von ihren Opfern gequält werden. Sie erheben sich blutig aus ihren Gräbern und klagen sie wegen ihrer Verbrechen an.
    »Ich werde in Ihren Schlaf kriechen und Ihr schwarzes Herz erzittern lassen, Vater. Sie werden nie mehr Ruhe auf Ihrem Lager finden.«
    Mein Fluch konnte ihn nicht beeindrucken. Müde hob er den Arm. »Wirst du nun springen?«
    »Nein, das werde ich nicht.«
    »Muß ich dich hinunterstoßen?« Unter mir hörte ich das leise Grollen der tiefen, weit entfernten Feuer. »Warum machst du es dir selbst so schwer?« fragte er. Was soviel hieß, daß ich es ihm schwermachte, diesem fülligen Gentleman, dessen Diener alle tot waren. Er holte mit dem Schwert aus, um mich damit aufzuspießen. »Der Teufel soll dich holen!«
    Ich grub meine Fingernägel wie kleine Messer in das morsche Holz und warf meinen Körper hin und her. Die Brücke schwankte unter uns und krachte dabei in allen Fugen. Vater streckte die freie Hand aus, um sich am Geländer festzuhalten.
    Und dann war ich es, der austrat, und es war der heftigste Tritt, den ich je ausgeführt hatte. Ich trat mit aller Kraft gegen einen Pfosten, hörte, wie er krachend brach, und sah meinen Vater seitwärts taumeln. Einen Augenblick lang hing er wie gefroren in der Luft, den Mund weit aufgerissen zu einem letzten lauten Schrei. Der Hausmantel flatterte ihm im warmen Aufwind um den Kopf. Der linke Fuß rutschte ab, der rechte Fuß hob sich, als wolle er auf den warmen Wind steigen und nach oben in sein Bett schweben. Und dann war er verschwunden, nur noch sein Gebrüll war zu hören, brach sich an den Wänden und verhallte schließlich nach und nach, wie Echos das immer tun.
    Ich weiß nicht mehr, wie lange ich mich bebend an die Brücke klammerte und weinte. Es kam mir vor wie ein Jahr, ein ganzes Jahr voller Einsamkeit und Trauer, ohne Mama, ohne Papa, ohne meinen dummen und ergebenen Champion. Ich war auf einer Bohle über der Ewigkeit gestrandet, und kein Mensch im ganzen Universum wußte, wo ich mich befand. Und dann begann ich tatsächlich zu kriechen, schob die Laterne vor mir über den Boden in Richtung Treppe, ohne dabei die Splitter in meinen Händen zu beachten, und richtete mich erst auf, um durch die letzte Tür zu taumeln. Ich warf sie mit lautem Krachen hinter mir ins Schloß, als befürchtete ich, etwas würde mir aus dem Schlund hinterhersteigen, irgendein feuerspuckender Cousin des marsianischen Gottes, um den letzten Abkömmling der Lychworthys zu verschlingen. Ich stürmte die Treppen nach oben und kam dabei fast um vor Angst, daß sich plötzlich vor mir eine Menschenfalle auftun könnte oder eine lautlose Axt aus der Dunkelheit auf mich herabsausen würde.
    Doch nichts geschah. Wohlbehalten und lebend erreichte ich den Salon, wo Bruno immer noch wie tot in seinem Sessel saß und den Stiel des zerbrochenen Weinglases in der Hand hielt. Ich sank vor ihm nieder, umfaßte seine Knie und weinte, weinte, weinte ...
    Sein Herz schlug sehr langsam, der Atem ging schwer und flach. Ich wußte nicht, was ich für ihn tun, was ich ihm holen sollte. In diesem

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