Sophies Kurs
dich endlich.«
Ich schniefte laut und schluckte.
»Nun komm schon!«
Zögernd ging ich zu der Tür, unter der das Licht hervorschien. Meine Beine schienen durch Sirup zu waten. Ich packte den Türrahmen und hielt mich daran fest. Ein heftiger Schmerz rumorte in meinem Kopf und nagte an der Schädeldecke. Ich drehte den Türknauf und öffnete die Kabinentür. Dümmlich blinzelnd blieb ich im Rahmen stehen.
Das Licht fiel aus einer kardanisch aufgehängten Laterne über meinem Kopf, konnte aber die Kabine wegen der Möbel und des ganzen Krimskrams, der herumstand, kaum erhellen. Den meisten Raum nahm ein Himmelbett ein, wohlgepolstert mit Federbetten und Decken. Überall lagen Strapse und Nachthemden herum, die dringend einer Wäsche bedurft hätten. Und Unterwäsche, wo man hinsah, schamlos im ganzen Raum verstreut, auf dem Bett, dem Sekretär, dem Teetisch – sogar auf dem Fußboden stapelte sie sich zu kleinen Haufen. Dazu überall schmutzige Tassen und Gläser. Aus einem Zeitschriftenständer quollen zu viele Magazine mit zerfledderten Seiten, schlapp wie geisterhafte Vögel. An der Innenwand stand ein schwarzer Eisenofen, der beträchtliche Hitze verströmte. Der flache Kessel darauf summte leise. Vor dem Ofen war ein Hitzeschutz aufgestellt, dessen Lackierung zerkratzt und an einigen Stellen dunkelbraun versengt war. Davor saß eine Menschenfrau in einem Lehnsessel. Ohne zu lächeln sah die Frau zu mir herüber. Dann rümpfte sie die Nase. »Du stinkst.«
Für mich sah sie aus wie ein Papagei. Sie hatte braune Augen so groß wie Dauerlutscher, ummalt mit breiten Purpurkreisen. Ihre Nase war gebogen wie ein Schnabel, und auf ihrem spitzen Kinn hätte sie ein Weinglas balancieren können. Die pinkfarbene Federboa, die sich wie ein Gebirge auf ihrem Kopf auftürmte, machte sie einem Papagei nur noch ähnlicher.
Die Frau trug einen überweiten rosafarbenen Bademantel, und dazu enge Leggins, gefleckt wie ein Leopardenfell. Die Hausschuhe an ihren Füßen waren aus Satin – und ebenfalls rosa. Die Frau war groß und nicht mehr gerade jung.
Ihre Stimme dagegen hatte nichts Papageienhaftes, sondern klang kräftig und voll. »Ist dir gerade schlecht geworden?« fragte sie voller Abscheu.
Benommen nickte ich.
»Dann säubere dich gefälligst. Oder kannst du das nicht?«
Ich fuhr mir mit dem Ärmel über das Gesicht.
»Großer Gott! Nun komm schon endlich her!«
Kaum war ich in ihre Reichweite getreten, packte sie meinen Arm und wischte mir das Gesicht mit ihrem Taschentuch ab, das nach Eau de Cologne roch. Zusammen mit der Hitze und dem Rauch des Ofens war dieser Duft schuld daran, daß mir sofort wieder übel wurde.
Es war nicht gerade sauber, ihr Taschentuch. Nichts war sonderlich sauber an Bord der
Halcyon Dorothy.
Man wird schnell schmutzig im Raum. Aber aus irgendeinem Grund reden die Leute nie darüber. Vielleicht ist es einfach zu offensichtlich, um auch nur ein Wort daran zu verschwenden. Pech, Rost, Holz, das klebrige schwarze Perlen ausschwitzt – manchmal tropfen sie herunter und werden schwammig, wenn man sie nicht wegwischt. Merkwürdige Flecken wachsen auf deinen Kleidern, alles scheint zu verrotten und zu verderben. Sicher war es das, entschied ich, was mich so krank gemacht hatte.
Die Papagei-Lady wischte über meinen Brustkorb. Sie schüttelte meinen Arm. »Steh sofort auf, Mädchen. Nun mach schon! Oder fühlst du dich immer noch wacklig auf den Beinen?«
Ich nickte, und sie half mir auf das Bett. Ich saß erschöpft auf der Kante und schaute mich um, während sie die Kabinentür schloß. An den Wänden hingen überall verwelkte Blumen und Fetzen bedruckten Papiers.
Mit leichten Schritten ging die Lady zum Ofen, öffnete ihn und warf ihr besudeltes Taschentuch hinein, als sei es nur ein alter Lumpen. »Wer bist du?« wollte sie wissen. »Was machst du auf meinem Schiff?«
Ich nannte nur meinen Namen, mehr sagte ich nicht. »Bist du von High Haven?«
Ich nickte.
Sie legte den Kopf schräg und betrachtete mich. Zu meinen Füßen rutschte ein Petticoat unter dem Bett hervor und schwebte bedächtig wie eine Qualle lautlos über den Teppich.
»Bist du von zu Hause ausgerissen?« fragte meine Gastgeberin. Ich konnte nicht antworten. »Guter Gott«, meinte sie, »du bist doch nicht etwa auf dem üblichen Weg? Dafür erscheinst du mir noch etwas zu jung.«
Ich wußte nicht, was der übliche Weg war, wußte aber, daß ich nicht darauf war. »Nein, Ma'am«, sagte ich. »Aber ich denke,
Weitere Kostenlose Bücher