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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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ich bin auf dem Weg, Ärger zu bekommen.«
    »Weißt du, wer ich bin?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Ich bin Evadne Halshaw«, klärte sie mich mit großartiger Geste auf und schwenkte den Arm in Richtung Wand, als ob dies alles erklärte. Ich sah genauer hin und erkannte, daß all die Papierfetzen, die die Wände bedeckten, vergilbte Postkarten, Briefe, Theaterplakate, Tickets, Radierungen, Fotos, Zeitungsausschnitte, Poster waren – ›Sonder's Cleft Pumpstation HEUTE * * * NUR HEUTE ABEND!‹ verkündeten sie. ›Die Nachtigall der Raumrouten EVADNE HALSHAW.‹ – Oder: ›Ihr Vortrag schafft es immer zu begeistern‹ –
The Mercury Dispatch.
Oder: ›Unvergleichliche Klänge‹ –
The Operatic Gazette.

    Das Galileo-Hippodrom, las ich, gab sich voller Stolz die Ehre, Miss EVADNE HALSHAW zu präsentieren, zusammen mit dem Mare Ignis-Orchester unter der Leitung von Sir Bedivere Stokes.
    »Ich dachte, dies hier sei die
Unco Stratagem«,
sagte
    »Die was?«
    »Das Schiff des Gesandten.«
    »Welches Gesandten?«
    »Mr. Cox«, nannte ich den Namen, als wäre damit alles erklärt.
    Miss Halshaw sah mich an, und ich starrte zurück – gleichermaßen verblüfft, nehme ich an. Der Petticoat schwebte langsam um die Ecke des Bettes und rotierte außer Sicht.
    »Sie ist es nicht, nicht wahr«, rief ich, den Tränen nah. »Wo sind wir denn? Ich muß nach Hause.«
    »Unmöglich«, erklärte Miss Halshaw wie die Hexe in einem schlimmen Traum. »Hör auf zu jammern, Mädchen, und setz dich gerade hin, wenn du dich schon nicht hinlegen willst. Falte die Hände im Schoß. Graziös, etwas kultiviert bitte. Hat deine Mutter dich denn nichts gelehrt?«
    Ich schluckte heftig. »Nein, Ma'am.«
    Nun, wahrscheinlich werden Sie jetzt über das Bild lächeln, das diese junge Person in ihrem fleckigen Kleid dort bot, auf einem Berg von Bettwäsche hockend. Unter den Haarfransen sahen die verquollenen Augen voll Kummer in die Welt, und der Mund wirkte wie der Schlitz einer Schraube im Schott. Aber Miss Halshaw gab mir etwas Perpetuatum sowie eine Tasse starken Tee mit Milch und Zucker und sagte, ich solle ihr nun endlich alles erzählen. Und kaum hatte ich einmal zu reden begonnen, konnte ich nicht mehr aufhören. Meine ganze traurige Geschichte sprudelte wie ein Sturzbach aus mir hervor.
    Ich erzählte ihr von Papa, wie er mich dafür haßte, daß ich ihn ständig an Mama erinnerte. Ich berichtete ihr von Mr. Cox und seinem Eisenkinn. Ich erzählte, wie er mit einem Satz allem, was Papa mir erzählt hatte, widersprach, wie Papa versucht hatte, mich von ihm fernzuhalten, und Kappi auch, sagte ihr, wer Kappi war. Ich erzählte ihr all das, das ich auch Ihnen erzählt habe. Miss Halshaw lauschte mir, und sagte nur manchmal: »Das gefällt mir« – oder »Großer Gott«. Dann meinte sie: »Ich kann dir keinen Brandy geben, weil du dafür noch nicht alt genug bist, aber du kannst ein Brandy-Plätzchen haben.« Und sie gab mir eins, obwohl sie erst danach suchen mußte. Es schmeckte ziemlich alt und vertrocknet.
    »Sie kam von High Haven, deine Mama?« fragte Miss Halshaw.
    »Ich weiß es nicht, Ma'am.« Mr. Cox Verhalten hatte mich verwirrt. »Sie lebte dort in der Nähe von Hanover.« Ich bezweifelte meine eigenen Worte.
    Es war ziemlich offensichtlich, daß Miss Halshaw kaum etwas von Haven kannte: Sie ging nie an Land, wenn ihr Schiff dort andockte. »Warum fragst du dann nicht die Leute dort nach ihrer Familie?«
    »Dort oben leben nur feine Ladies und Gentlemen. In Hanover Way wohnt der Oberbürgermeister.«
    »Na und?«
    »Ich durfte sie nicht ansprechen«, antwortete ich entgeistert.
    »Du redest doch auch mit mir, nicht wahr?«
    »Was ich eigentlich nicht vorhatte«, entfuhr es mir. Und sofort zog ich den Kopf ein. »Ich bitte Sie um Verzeihung, Ma'am.« Ich kam mir sehr dumm vor.
    Ich muß meine Passage abarbeiten, entschied ich. Das war meine einzige Hoffnung.
    Ich sah mich um. »Hätten Sie es gern, wenn ich Ihnen Ihre Kabine aufräume?«
    »Wozu das?« Miss Halshaws Augen traten hervor. »Nein. Komm jetzt, mein Kleines. Wir müssen dich Tobias vorstellen.«
    Als ich vom Bett stieg, sah ich den Petticoat wieder. Er war schließlich doch noch zur Ruhe gekommen, indem er sich um die Beine einer Musiktruhe gewunden hatte. Und dort ließen wir ihn auch. Miss Halshaw ging voraus, und ich schwankte hinter ihr her. Erst jetzt, während ich mich selbst vorwärtsbewegte, bemerkte ich, daß auch das Schiff in Bewegung war, und ich

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