Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
derb und rauh. Ich hockte auf seinem Rücken. Es war sehr groß – so groß wie ganz High Haven – und sehr heiß. Ich fühlte, wie es unter mir atmete. Hier und dort wuchsen ihm Baumgruppen aus dem Rücken. Kleine Kinder mit vornehmen Kleidern in gedämpften Farben tauchten aus dem Nichts auf, versammelten sich unter den Bäumen und sahen zu mir herüber. Eins hatte einen Reifen und einen Stock dabei, ein anderes einen Drachen.
    Im Traum begriff ich sofort, daß es meine Pflicht sei, diesen Kindern – und vielen anderen Leuten – zu helfen, auch den Erwachsenen, obwohl sie in meinem Traum nicht vorkamen. Sie konnten dieses gigantische Ungeheuer nicht bändigen, ich dagegen konnte es.
    Ich grub Finger und Fersen tief in seinen dicken Pelz und schrie laut. Aus meinem Mund kam kein Laut. Ich suchte nach dem Kopf, aber er war zu weit entfernt, um ihn erkennen zu können. Ich konzentrierte all mein Denken auf das Tier, zwang es mit meinem Willen, sich zu bewegen.
    Ein Geräusch ertönte, als würden zwei Flöße auseinanderbrechen, und nach jeder Seite spreizte das Wesen die Flügel und löschte die Sterne aus.
    Ich erwachte, wußte sofort, daß der Lärm Wirklichkeit war. Eine scharfe Stimme in der Nähe blaffte einen lauten Befehl und verstummte dann. Mein Kopf dröhnte immer noch, und ich lag wie gelähmt in meinem Versteck, höchst verwirrt von der Kraft und Deutlichkeit meines Traums. Ich atmete tief durch. Das ganze Rettungsboot roch nach meinem Erbrochenen. Nichts war mehr zu hören außer dem sanften Knacken der Schiffsplanken. Jemand war an Bord gekommen, dessen war ich sicher. Wahrscheinlich Mr. Cox, und bei ihm war Papa, um mich nach Hause zu zerren und mich zu bestrafen. Unsicher taumelte ich auf die Füße und erinnerte mich im letzten Moment daran, wie leicht ich hier oben war.
    Am Heck des Rettungsboots befand sich ein Niedergang, der mit einem dicken Gummivorhang verhängt war. Mit einiger Mühe zwängte ich mich hindurch und fand mich in einem schmalen, schwankenden Gang mit Holzwänden und einem Dach aus Segeltuch wieder, der unter Deck führte. Meine Arme und Beine fühlten sich merkwürdig an. Sie blieben nie dort, wo sie hingehörten, sondern trieben ständig in der Luft aufwärts. Mir schmerzte der Kopf, und ich fragte mich, ob ich Fieber hatte. Kraftlos hielt ich mich an der Gangwand fest, fand nicht den Mut, mein Refugium zu verlassen. Irgendwo schepperte eine Messingglocke. Ich zuckte zusammen.
    Langsam, voll Furcht schob ich mich an Deck und stand wieder in der Gangway. Hier war es nicht mehr so dunkel. Ich entdeckte in der Nähe ein Bullauge, konnte aber kaum etwas erkennen, weil das Heck des Rettungsbootes im Weg war. Im Zwielicht bemerkte ich einen Namen auf dem Boot – den Schiffsnamen, wie es üblich ist, aufgemalt in schwarzgoldenen Buchstaben.
Halcyon Dorothy.
    Die
Halcyon Dorothy.
Nicht die
Unco Stratagem.
    In meiner Verwirrung war ich an Bord des falschen Schiffes geklettert! Ich mußte sofort herunter! Auf Zehenspitzen spähte ich durch das Bullauge, um nachzusehen, ob jemand am Niedergang zum Dock Posten stand.
    Das Dock war nicht mehr da.
     

KAPITEL IV
Die Nachtigall der
Raumrouten
    Ich schrie laut auf, drehte den Kopf zur Seite und bedeckte die Augen mit dem Arm. Ich wollte nicht wahrhaben, was ich da sah. Mehrmals hämmerte ich den Kopf gegen das Schott.
    Eine Stimme rief: »Wer ist da?«
    Weiter unten gingen mehrere Türen von dem Gang ab. Unter einer schimmerte ein schmaler Lichtstreif hervor. Die Stimme kam aus diesem Raum. Es war die Stimme einer Frau – eine verärgerte Stimme. »Wer ist da?« wiederholte sie.
    Wieder spähte ich durch das Bullauge, hoffte, daß mir meine Augen beim ersten Mal einen Streich gespielt hatten. Aber es blieb dabei: Draußen war nichts –keine Docks, keine Schiffe, kein High Haven. Ich war kalt erwischt worden. So drücken sich die Matrosen aus, wenn die Strömungen des Sternenwindes sich ganz unvermutet drehen, dich auf dem falschen Fuß erwischen und dich auf deinem Weg aufhalten. Ja, das traf es genau: Ich war kalt erwischt worden. Ich wirbelte um meine eigene Achse, doch in welche Richtung ich auch schaute, es war nichts zu sehen. Nur die fürchterlich schwarze Kälte der Tiefe sog mich auf –und dabei hatte ich nie vorgehabt, in den Weltraum hinauszugehen! Ich preßte mir die Knöchel gegen den Mund, konnte aber ein leises Wimmern nicht unterdrücken.
    »Ich weiß, daß du da draußen bist«, rief die Lady. »Komm herein und zeig

Weitere Kostenlose Bücher