Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
Vom Netzwerk:
»Entschuldigen Sie, Sir, ist das hier Crisium?«
    Statt einer Antwort deutete er mit dem Finger zu den Lichtern jenseits des Hafens hinüber.
    Ich blieb hartnäckig. »Wie komme ich zur Geburten-Registratur?«
    »Mit den Bahnen am Tor des Piers, Miss«, antwortete er mit seiner hohen, traurigen Stimme. Ich begriff, daß er trotz der halben Krone des Captains seinen Posten nicht um einen Schritt verlassen würde. Seine Augen waren stumpf, und er hielt den Messinggriff des Gleittores so, als sei er selbst zu einem Teil der Maschine geworden.
    Der Ballon war mitten in einer flachen Staubebene gelandet. Es war zu dunkel, um erkennen zu können, wie weit sie sich ausdehnte. Zwei barfüßige kleine Jungs eilten in großen, gleitenden Sätzen auf den Ballon zu. Sie hatten flache Holzscheiben unter die Füße gebunden und hielten Fackeln über ihre Köpfe. Sie breiteten zwei schmale Matten aus Kokosfaser vor uns aus, damit wir den Pier verlassen konnten, rollten sie hinter uns blitzschnell wieder zusammen und legten sie, ehe wir weitergingen, erneut vor uns aus. So ging das eine ganze Zeitlang.
    Am Ende des Piers wurden die Schwämme in einen mit einem Netz abgedeckten Fischtank gesperrt. Sie sahen unglücklich aus und drängten sich alle in einer Ecke zusammen. Die anderen Passagiere stiegen in hübsche, mit Fellen ausgelegte Wagen, die von jungen Männern auf Dreirädern gezogen wurden. Ich hatte keine Ahnung, wieviel Geld Miss Halshaw mir gegeben hatte und wie lange es reichen mochte. Deshalb machte ich mich zu Fuß am Pier entlang auf den Weg und strebte, so schnell ich konnte, vorwärts, obwohl ich mich jetzt wieder schwer fühlte, schwerer als je zuvor. Dabei hielt ich nach den Bahnen Ausschau.
    Das Ufer des Meers der Krisen hat man mit mattgrauen Stücken aus Bruchschiefer gepflastert. Vor der Morgendämmerung versammeln sich am Tor des Piers die Frauen, bringen Taschen und Beutel voll mit mysteriösen abscheulichen Kreaturen, die das Männervolk in der Nacht gefangen hat, hinaus in den tiefen Staub, wo große Schiffe nicht landen können. Ich wußte, ich hatte sie schon früher in meinen Alpträumen gesehen, diese riesigen Tausendfüßler ohne Augen, diese warzigen, wie rundliche Kloben geformten Wesen, die aus nichts als Zähnen bestehen.
    Eine Frau rief mich an, deutete lächelnd in ihren Sack und rieb sich über den Bauch. Hatte sie da etwas Gutes zum Essen herausgezogen? Es sah ungefährlich genug aus, wie ein großer weißer Flaschenkürbis, innen weich und bröselig. Aber als die Frau ihre Hand hob, um mir eins dieser Dinger zuzuwerfen, wobei sie ruckartig den Kopf vorschob, mit dem Kiefer mahlte und dabei Grunzlaute ausstieß, sah ich, wie es unter ihrem Arm her zu entwischen versuchte. Ich hob den Mantelsaum und hastete an ihr vorbei.
    Endlich kam eine Bahn, ich hörte sie hinter mir her-anrattern. Ich drehte mich um und sah ihre Lampen wie glühende Löwenzahnblüten herangleiten, weiche Lichtflecken in der staubigen Dunkelheit. Ich winkte und rief. Von seiner ungeschützten Plattform starrte der Fahrer auf mich herunter. Mit seinem Wollschal und der unförmigen Schutzbrille sah er aus wie eine Eule. Mit einem zischenden Dampfstoß bremste er sein Fahrzeug und signalisierte mir mit der Hand, aufzuspringen.
    »Ich möchte zur Registratur!« rief ich. Meine Stimme hallte laut über die Ebene. Ich weiß nicht, ob er mich hören konnte. Mit einem müden Winken des Arms wiederholte er seine Aufforderung. Ich sprang auf und nahm eine Münze aus dem Geldbeutel. Er steckte sie wortlos ein. Mir fuhr durch den Kopf, daß er der Bruder des Ballon-Schaffners sein könnte.
    Die Bahn war seltsam leer. Von zwei Männern in zerdrückten Jacken, die auf ihren Sitzen eingeschlafen waren, drang scharfer Schnapsgeruch zu mir herüber. Der Kopf des einen ruhte auf der Schulter des anderen, und seine Hand umklammerte eine gelbe Flasche auf dem fetten Bauch. Ich suchte mir einen Platz weiter hinten im Wagen. In der Bank hinter mir redete ein Mann in Uniform auf einen anderen ein, der die gleiche Uniform trug – in einer fremden Sprache. Seine Worte umspülten mich wie ein Wasserfall und vermischten sich mit den Schnarchlauten der Schlafenden. Unwillkürlich dachte ich daran, wie Papa schnarchte, so daß es das ganze Haus erfüllte und mich, wo ich auch saß, einlullte und mich meine Pflichten vergessen ließ.
    Mir kam die Geschichte von Mr. Crusoe in den Sinn, wie sehr er, als die Meere der Erde anschwollen, um ihn zu

Weitere Kostenlose Bücher