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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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verschlingen, bereute, seinem Vater den Gehorsam verweigert zu haben. Ich war froh, daß meine Zufallsreise bald vorüber sein würde. Ich würde mit der Wahrheit über Mama zu Papa zurückkehren und feststellen, ob und wie sehr ihm dann diese Geschichte gefallen würde. Bei dieser Vorstellung hob ich den Kopf und sah aus dem Fenster. Wir fuhren über die Promenade. Draußen über dem Meer stieg der schwarze Schatten eines Schoners zu den Sternen empor. Von seinen Masten und aus allen Fenstern schimmerte gelbliches Licht. Ich blinzelte und schaute weg. Ich hatte es ganz und gar nicht eilig, mit der Fähre nach Hause zu kommen, hatte keine Eile, mich wieder so krank und elend zu fühlen. Ich vertrieb diesen Gedanken dadurch, daß ich auf der Karte über den Sitzen unsere Fahrtroute ausfindig zu machen versuchte.
    Schwankend und schlingernd erklomm die Bahn die Steigung zu einem Viertel mit engen Gassen und schmalen Straßen, fuhr über einen Viadukt auf einen von Gaslaternen beleuchteten Platz, der die Form einer Niere hatte. Die Gebäude hier waren prächtiger als die in Haven und aus Stein errichtet, der schwärzer war als Kohle. Jedes wirkte wie ein Palast mit zwanzig Spitztürmen und zweihundert Fenstern. In der Mitte des Platzes stand die zehn Fuß hohe Statue eines Mannes mit einem Zylinder auf dem Kopf, der in den schwarzen Himmel hinaufzeigte.
    Eine Hand legte sich schwer auf meine Schulter. Ich drehte mich um. Der schweigsame Mann beugte sich zu mir. »Dies ist Ihre Haltestelle«, sagte er in Englisch. Ich glaube, das waren seine einzigen Worte. Ich bedankte mich artig. Er nickte mürrisch und wandte sich der Tirade hinter mir zu. Der erste Mann hatte keine einzige Sekunde lang seinen Sermon unterbrochen.
    In eine Dampfwolke gehüllt, sprang ich von der Bahn und sah zu, wie sie davonratterte. Auf dem Straßenpflaster zeigte sich ein Hauch von Schnee oder Eis. Dort, wo die Bahn gestanden hatte, schmolz der Belag zu einer Pfütze. Ich war froh, daß ich Miss Halshaws Mantel besaß, und fragte mich, wieso jemand sich dazu entschließen konnte, einen solch kalten und staubigen Ort zu besuchen, oder, noch schlimmer, hierherzuziehen, um hier zu leben.
    Die Luft war dünn und eisig, und nirgends war eine andere Person zu sehen. Ich ging an dem Geländer entlang, bis ich zu einer Messingtafel an einem Torpfosten kam, die im Sternenschein blinkte. ›Geburten-, Todes-und Heirats-Register Ihrer Majestät‹. Darunter stand noch: ›Anfragen‹, und eine Relief-Hand deutete um die Ecke.
    Ich folgte dem Hinweis und stand vor dem Gebäude. Ich erkannte einen Turm und eine Brücke aus milchigweißem Stein, die zu ihm hinführte. Sie schimmerte schwach. Weiße Wesen umschwirrten die oberen Stockwerke, zischten in raschem Flug hierhin und dorthin. Eins dieser Wesen stieß im Sturzflug vor mir auf die Straße herab, und ich glaubte es kreischen zu hören. Es war eine Fledermaus, so weiß wie ein Fisch.
    Ich versuchte die große Tür der Registratur zu öffnen, doch sie war verriegelt. Die Nächte auf dem Mond sind lang, und die Dämmerung war gerade erst angebrochen. Die Registratur würde noch für Stunden geschlossen sein. Mit einem hohlen Geräusch fiel der Griff zurück gegen das Holz. Es war wie ein Todesstoß für all meine Hoffnungen und Anstrengungen. Erschöpft sank ich vor dem Portal nieder. Es gab keine Sitzgelegenheit, und so hockte ich mich auf den kalten Fliesenboden.
    Lieber Leser, da saß ich nun auf den harten Fliesen und überließ mich meinem Elend. Ich wünschte, ich wäre nie hierhergekommen. Ich dachte an meinen Papa, der zweifellos immer noch schnarchte oder vielleicht doch schon auf war und mich verfluchte, während er herumtorkelte und nach seinem Mohnsaft suchte. Ich dachte an Miss Halshaw und Captain Estranguaro. Ich glaube nicht, daß ich damals schon verstand, wie glücklich ich mich schätzen konnte, daß ich auf ihrer Yacht und nicht auf einer anderen gelandet war. Nicht alle Fahrenden wären so nett zu mir gewesen. Aber jetzt war ich allein, und ich begann mich zu fragen, wieso in aller Welt ich ihnen erlaubt hatte, mich hier auszusetzen, hungrig, müde und einsam. In dieser dunklen Stunde war ich überzeugt, daß das alles ein schrecklicher Irrtum war. Mr. Cox hatte mich mit jemand anderem verwechselt, mit jemand, der auch solch einen Ring trug. Mama war eine hübsche und tugendhafte Frau aus dem Hanover-Distrikt gewesen und im Wrack eines Schiffes ums Leben gekommen, das später traurige

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