Sophies Kurs
schwammen mir vor den Augen wie Kaulquappen – Namen, Daten, Angaben über Eltern und so weiter.
Ich verstand nicht, was er sagte, war wie vor den Kopf geschlagen. Ich wußte nicht, was ich tun sollte. Eine Stimme in meinem Kopf sagte fortwährend: »Mr. Cox hat recht, Mr. Cox hat recht.« Natürlich hatte er recht.
»Tut mir leid, daß ich Ihnen keine bessere Mitteilung machen konnte, Miss«, murmelte der Angestellte.
Ich muß dann wohl in meine Manteltasche gegriffen und den Ring hervorgeholt haben. Ich zeigte ihn dem jungen Mann. »Der gehörte meiner Mutter«, sagte ich.
Er warf einen Blick darauf, musterte das Auge und den Pfeil. »Wieso, das ist ein Pilotenring. Sehen Sie das Zeichen, Miss? Das ist eines von mehreren Signets der Piloten-Zunft.«
Ich nahm seine Worte kaum wahr. Sein Gesicht, seine Hände, sein adretter kleiner Finger wiesen auf meinen Ring, aber ich sah sie kaum. Ein schreckliches, dunkles Schamgefühl erwuchs in mir, namenlos, formlos, das Licht auslöschend.
»Ich habe noch nie einen solchen Ring aus der Nähe gesehen«, meinte der Schreiber. »Und einen so schönen dazu, wenn Sie meine Meinung hören wollen. Wären Sie so freundlich, mir den Ring einen Moment lang auszuhändigen, damit ich ihn meinem Vorgesetzten zeigen kann? Ich werde gut darauf achtgeben, das versichere ich Ihnen.« Er sagte das so fröhlich, als würden die Komplimente über den Ring das Schlimme, das er mir hatte antun müssen, wiedergutmachen. Er streckte die Hand aus.
Ich wollte ihm den Ring nicht geben – und wollte auch nicht, daß er mich allein ließ. Ich steckte den Ring an meinen Finger, stand auf und raffte den Saum meines Mantels zusammen. »Wenn es Ihnen nichts ausmacht, werde ich ihn ihm selbst zeigen«, sagte ich entschlossen.
»Ganz wie Sie wünschen, Miss. Hier entlang bitte –nach Ihnen.«
Der Vorgesetzte des sich ständig entschuldigenden, überhöflichen Angestellten war ein dürrer Herr mit einem noch höheren Stehkragen. Auch seine Stirn war hoch, sein Kopf ziemlich kahl. Er saß in einem eigenen Büro in einem schweren Sessel hinter einem schweren Schreibtisch und starrte verwundert meinen Aufzug und den Ring an meiner Hand an. Er bot mir keinen Stuhl an. Ich sah ihm an, daß er es nicht gewohnt war, kleine Mädchen mit verrußten Gesichtern in seinem Büro zu empfangen. Und als ihm sein Untergebener die Einzelheiten über Miss Crosby berichtete und ihm das Blatt mit den Eintragungen zeigte, wurde mir klar, daß er meine Geschichte lediglich für ein Lügenmärchen hielt, für einen Vorwand, um für irgendein verruchtes Vorhaben in ihre mächtige Einrichtung einzudringen. Vom Kragen her kroch eine dunkle Röte seinen Hals hinauf und erreichte die haarlosen Ohren. Mit einer Handbewegung unterbrach er den Bericht des jungen Mannes. »Woher hast du diesen Ring?« fragte er, ohne mich dabei mit Miss anzureden. Er streckte die Hand quer über den Schreibtisch. »Zeig ihn mir.«
Aber jetzt war ich auf der Hut. Ich drückte die Handfläche flach gegen meine Brust und bedeckte den Ringfinger mit der anderen Hand, damit sie mir den Ring nicht abnehmen konnten.
»Er zeigt ein Signet der Piloten-Zunft, Sir!« erklärte mein Schreiberling aufgeregt. »Ein Auge und einen Pfeil, Sir, Sie wissen doch ...«
Der ältere Bedienstete machte eine herrische Geste. »Nimm ihr sofort den Ring ab!«
Aber ich ließ ihn nicht los. Der junge Mann entschuldigte sich bei mir, entschuldigte sich auch bei seinem Vorgesetzten. Offensichtlich war es ihm hochpeinlich, daß er nicht ausführen konnte, was ihm aufgetragen war, und er so keinen von uns beiden beschwichtigen konnte. »Es ist ein sehr schöner Ring, Sir!« rief er und kaute verlegen auf seiner Unterlippe. Und dann kam, was kommen mußte: Wie Mr. Cox am Rand des Docks damals beschuldigte mich der Oberschreiber, den Ring gestohlen zu haben. Als ich das immer noch leugnete und mich weigerte, den Ring herauszugeben, wurde er sehr zornig. Die Röte kletterte über seine großen Ohren und breitete sich über das ganze Gesicht aus. »Es ist ganz eindeutig, daß du den Ring gestohlen hast«, schrie er. »Und den Mantel, den du trägst, ebenfalls. Henderson, geh und hol den Portier. Hol einen Konstabler her!«
»Jawohl, Sir«, rief der Schreiber, der bis dahin mit offenem Mund und großen Augen seinen Vorgesetzten und mich angestarrt hatte und nun offensichtlich froh war, einen Befehl zu bekommen, den er ausführen konnte. Er stürzte sofort aus dem Raum. Ich
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