Sophies Kurs

sehe ich ja auch aus wie einer, stimmt's nicht, Tobias?«
    Nach meiner Ansicht konnte keine Frau modischer aussehen als diese lässige Amazone, Miss Evadne Halshaw – wie sie da so locker in Creme und Gold auf ihrem weißen Pferd saß. »Warum kommst du nicht ins Theater?« fragte sie. »Komm zur Matinee am Freitag. Bring den Helm und deine Freundin mit. Toby, laß gefälligst Miss Farthing's Freundin in Ruhe.«
    In seinem
Register
vergleicht Mr. Strake die Faune von Nippur und Caraway miteinander. Die Faune von Nippur nennt er die echten oder Waldfaune. Sie äsen in Herden und zeigen eine besondere Vorliebe für Honigwaben und Efeu. Wie die Faune im alten Griechenland sind sie scheu und kaum zu Gefühlen fähig, obwohl die Franziskaner sie bekehrt und ihnen beigebracht haben, sich hinzuknien, Hymnen zu singen und zu weinen, wenn ein Kreuz gezeigt wird.
    Die Faune von Caraway, die ›falschen‹ Faune, sind weit zahlreicher. Sie sind die Faune der Ebenen, leben in Ledertipis und jagen zu Fuß in Gruppen. Mit ihren bloßen Händen reißen sie den gelben Büffel zu Boden. Nicht so lammfromm wie ihre entfernten Vettern auf Nippur passen sie gut in ›die unteren Ebenen und Randbezirke der Zivilisation‹, wie Mr. Strake es umschreibt, sprich: zum Zirkus, in die Spielhöllen, auf den Viehmarkt. Captain Estranguaro, vermute ich, kommt von Caraway.
    Der Captain sprang von der Lehne, wo er sich fortwährend mit beiden Händen über seine breite Brust gefahren war und dabei das Gesicht näher und näher an Betty Prides Hals geschoben hatte, und verbeugte sich tief. Aus irgendeiner Tasche zauberte er zwei Eintrittskarten für das Stackpole-Theater hervor und reichte sie uns mit elegantem Schwung.
    Die Rodneys waren beeindruckt von unseren Ehrenkarten. Gertie war eifersüchtig und versuchte, Betty ihre Karte abzuschwatzen. Doch dann stellte sie fest, daß dort keine Seiltänzer, Feuerschlucker oder weibliche Akrobaten auf Pferden auftraten. »Wer will denn schon irgendeine alte Hexe kreischen hören?« meinte sie abfällig.
    Betty und ich ließen uns davon nicht beeindrucken. Wir zeigten jedem die Plakate neben denen von FINNINGTONS KÖSTLICHEM UND PREISGEKRÖNTEM PUDDING oder SOLVALL
Blitz-Schmiervorrichtungen.
»Stackpole-Theater steht da«, erklärte Betty den Leuten. »Dorthin werden Sophie und ich gehen.« Ich holte Miss Halshaws Helm unter dem Bett hervor, entstaubte und polierte ihn. Dann saß ich eine Weile dort und hielt ihn auf dem Schoß. Wo ich in dieser Zeit mit meinen Gedanken war, weiß ich nicht und kann es Ihnen daher auch nicht sagen.
    Der Freitag kam. Betty und ich gingen zur Matine ins Stackpole-Theater. Drinnen war es warm. Dichter Zigarrenrauch hing in der Luft, und die Sitzbezüge kratzten. Ein Herr in Grau spielte auf dem Klavier, während Miss Halshaw ›Komm in den Garten, Maud‹ und ›Britannia, du Perle von Terra‹ sang. Weiter ging es dann mit sehr vielen Stücken aus italienischen Opern. Betty und ich mußten uns ständig gegenseitig zwicken, um wachzubleiben. Nachher klatschten wir lange Zeit, und dann kam ein Junge und führte uns in die seltsame Welt hinter der Bühne, wo es nach Leinwand, Holz und Farbe roch und Leute seltsame Möbel herumtrugen.
    In ihrer Garderobe ruhte Miss Halshaw in ihrem riesigen pinkfarbenen Morgenmantel, aus dem das Futter herausschaute, auf einer abgenutzten Couch. Über einem bräunlichen Schirm mit einem Bild der
Halcyon Dorothy
hing das Satinkleid, das sie auf der Bühne getragen hatte. Captain Estranguaro trank Brandy und machte Eintragungen in ein großes schwarzes Buch. Miss Halshaw aß eine Orange, die sie mit den Fingern zerpflückte und dabei ziemlich zermatschte. »Kommt herein, Mädels!« rief sie und fragte, ob uns der Auftritt gefallen habe. Das bejahten wir eifrig, und sie plusterte sich auf, nannte uns ›Ihr Lieben‹ und bestand darauf, uns mit Apfelsinenstücken zu füttern.
    Selbst ihre Entschuldigungen waren großartig. »Das Matine-Publikum ist nie so vornehm und distinguiert wie das in der Abendvorstellung«, meinte sie und bedeutete mir, den Raumhelm in eine handliche Hutschachtel zu legen. »Commodore Mears von der Piloten-Gilde war am Dienstag in der Vorstellung – mit allen seinen Töchtern.«
    Jetzt merken Sie sicher auf, weil ich gesagt hatte, daß ich meinen Weg allein machen wollte. Die arme Mama schlief, wie ich mir angewöhnt hatte, mich auszudrücken, friedvoll unter der Erde. Trotzdem machte mich die Erwähnung der Gilde