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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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neugierig, und ich wollte mehr wissen. Der Wunsch ist immer der Vater des Gedankens, wie Mrs. Rodney zu sagen pflegte. Der Vertreter Seiner Lordschaft war ein furchteinflößender Gentleman, ständig umgeben von einer Horde Männern, die mit Pistolen und Pferdepeitschen bewaffnet waren und mich wie eine Mücke zerquetschen konnten. Ich hatte hier ein neues Leben gefunden. Sollte Mama doch in Frieden ruhen, für immer in seiner Brust begraben!
    Und doch – fragen durfte man schließlich noch! »Kennen Sie Mr. Cox, Miss Halshaw?«
    »Ist das der mit dem scheußlichen Kinn?« Miss Halshaw reckte ihr eigenes hoch. »Ich würde es nicht mögen, wenn er mich küßt, und mir ist auch egal, wer die Erfahrung schon gemacht hat.« Captain Estranguaro kicherte glucksend, und Betty kreischte auf.
    »Könnten Sie ihm einen Brief geben, ihm aber nicht verraten, von wem er ist?« fragte ich.
    Sie müssen wissen, mir war wieder mein alter Plan in den Sinn gekommen, Mr. Cox einen Brief ohne meine Unterschrift zu schicken, ihn aber mit seinem Ring zu versiegeln.
    »Großer Gott, Sophie. Ich kenne den Mann nicht. Wir wurden uns noch nie vorgestellt.«
    »Aber Sie sind doch berühmt«, rief ich. Betty murmelte erschreckt ein paar Worte und zupfte mich am Ärmel.
    Die Polyhymnia der Planeten sah mich über ihre große Nase hinweg scharf an. »Du mußt deinen Brief von der Königlichen Post besorgen lassen«, meinte sie, »falls du das Geld für das Porto aufbringen kannst. Was willst du überhaupt von Mr. Cox?«
    Offenbar hatte sie unsere Unterhaltung auf der
Halcyon Dorothy
völlig vergessen. Vermutlich traf sie unzählige Leute und hatte tausend Dinge im Kopf.
    »Er weiß, wer meine Mama umgebracht hat.«
    Ein lastendes Schweigen legte sich über den Raum, und alle starrten mich regungslos an. Miss Halshaw faßte sich wieder als erste. »Nun«, meinte sie, »wenn er es weiß, meine Liebe, wird er es dir kaum erzählen.« Zustimmung heischend sah sie zu ihrem treuen Begleiter hinüber. »Nein, Sophie, da mußt du schon heimlicher zu Werke gehen.«
    Ich dachte an unsere Hütte auf High Haven, wo ich manche Dinge heimlich getan hatte, wenn Papa nicht merken sollte, daß ich ein Buch las, statt seine Sachen zu waschen.
    »Dann muß sie sich aber beeilen, stimmt's?« sagte Captain Estranguaro, griff nach
The Times
und begann energisch die Seiten zu überfliegen. Er zeigte mir einen kleinen Artikel, in dem die Abfahrten aufgelistet waren. Darin stand, daß die
Unco Stratagem
am nächsten Tag zurück nach Io segeln würde.
    Die Welt schien sich unter meinen Füßen aufzubäumen wie St.-Radigunds-Werft, wenn ein großes Schiff andockte und die Wracks an ihren Haken zum Schwingen brachte.
    »Ich muß unbedingt auf das Schiff«, rief ich.
    Betty Pride zog die Nase kraus. »Du bist ein Mädchen.«
    Ich wollte schon antworten, daß Ginny Wigram ebenso ein Mädchen gewesen war, auch wenn sie das Licht der Welt an Bord erblickt hatte und all ihre Familienmitglieder und Vorfahren seit jeher Matrosen gewesen waren. Doch Miss Halshaw kam mir zuvor. »Das ist kein Problem«, sagte sie gönnerhaft. »Komm her, Sophie, komm.« Sie schnippte mit den Fingern.
    Ich stand auf und ging zu ihr. Sie drehte mich um, packte mein Haar und wickelte es im Nacken zusammen. »Siehst du?« rief sie mit triumphierender Stimme.
    Ich sah es nicht, und wenn ich mich nicht irrte, tat Betty es auch nicht. Aber von jetzt an entwickelten sich die Dinge sehr schnell. »Toby, du läßt uns jetzt besser mal allein«, befahl Miss Halshaw. »Geh rüber ins Speisehaus und schau nach, was sie auf der Karte haben. Sophie Farthings blonde Patentante wird jetzt einen ihrer Zaubersprüche anwenden.«
    Captain Estranguaro rieb sich die Hände und eilte hinaus. Sein lautes Hufgetrappel entfernte sich durch die Halle. Betty und ich starrten uns verständnislos an.
    Miss Halshaw musterte uns beide erwartungsvoll und wurde dann immer aufgeregter. »Nun«, meinte sie schließlich ungeduldig, »habt ihr noch nie eine Pantomime gesehen?«
    Ich schüttelte den Kopf, wußte nicht, was eine Pantomime war. Auch Betty hatte noch nie eine gesehen. Miss Halshaw seufzte. »Was denken sich die Eltern heutzutage eigentlich?« Sie befahl mir, mich vor den Ankleidespiegel zu stellen, das Haar hinter die Ohren zurückzuschieben und den Rock zwischen den Knien festzuklemmen.
    »Siehst du es jetzt? Siehst du es?« rief sie. Und damit stürzte sie aus dem Raum, nur um einige Momente später in Begleitung einer

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