Sophies Kurs
Dann mußt du dir eine besorgen, Sophie.«
»Ja, Sophie«, sagte Betty mit ihrer verschüchterten kleinen Stimme. »Eine Mütze wäre nötig.«
Plötzlich war es in dem Zimmer sehr kalt, und ein Schauer rann mir über den Rücken.
Miss Halshaw schnippte mit den Fingern und zeigte auf die Hutschachtel. »Dort, da drin ist eine.« Betty sprang auf, holte den Helm heraus und reichte ihn mir. Miss Halshaw nahm ihn ihr aus der Hand und stülpte ihn mir über. Dann sagte sie etwas. Ich sah, wie ihre Lippen sich bewegten, konnte sie aber nicht verstehen. Deshalb hob ich den Helm etwas hoch. »Paßt wie die Faust aufs Auge, Schätzchen«, wiederholte sie. Was mich etwas beunruhigte. Ich rückte den Helm wieder zurecht und trat vor den Spiegel. Ich war der perfekte Matrose.
Als sie meinen Haarschnitt sah, machte Gertie höhnische Bemerkungen, und Johnny und Mr. Rodney lachten laut. Ich sagte ihnen, ich hätte mir die Haare abgeschnitten, weil ich nach Hause zurückginge. Mrs. Rodney stieß einen Schrei aus und sagte nein, aber ihr Mann meinte, ich solle ruhig gehen. Ich wußte, daß ich mehr aß als ich verdiente. Die Aussicht auf einen besseren Logiergast und eine regelmäßigere Einkunft ließ Mrs. Rodney verstummen und die Sache noch einmal überdenken. Sie fragte mich, wann ich ginge. »Am Ende der Woche«, sagte ich. Danach gab es einen ziemlichen Aufruhr.
Ich blieb völlig gelassen, hockte da wie ein Igel, trank meinen Tee und sagte nichts mehr. Sie sollten nicht wissen, daß ich in Wirklichkeit viel früher ging. Kaum hatte ich einen sicheren Hafen gefunden, kappte ich schon wieder die Trossen und überließ mich der Drift der Fluten. Aber ich wollte lautlos davongleiten, ohne irgendwelche Fragen oder Probleme, ohne jedes Lebewohl.
Ich sagte nicht gern Lebewohl. Manchmal, wenn die Strömung abflaut und das Schiff nicht fahren will, beginnt mir wieder der Kopf zu schmerzen – wie damals als kleines Mädchen. Mein Kopf fühlt sich dann an wie der Himmel, vom Haken eines Seemanns aufgerissen. Ich stelle mir vor, wie ich im Kielwasser meiner langen Reisen wieder von Welt zu Welt eile und über eine endlose Kette von unsichtbaren Regenbögen Brücken durch den schwarzen Raum schlage. Dann scheint es mir, als habe mein ganzes Leben nur aus zahllosen Lebewohls bestanden, immer nur aus Abschieden und niemals aus einer Ankunft.
Am nächsten Morgen stand ich sehr früh auf, zog im Schein einer Kerze Hose und Jacke über und band mir ein verwaschenes Taschentuch um den Hals. Gertie war wach geworden und beobachtete mich vom Bett aus. »Ich werde jetzt Papa rufen«, sagte sie.
Ich war aufgeregt und wünschte, ich wäre schon fort. »Tu das nicht, Gertie.«
Sie sah mich so feierlich an wie ein Richter. »Ich werde jetzt rufen.« Sie öffnete den Mund weit, tat aber nur so, als wolle sie rufen. »Ich werde ihnen sagen, daß du gehen willst. Ich werde ihnen verraten, daß du dich als Junge verkleidet hast.«
Ich beugte mich weit über das Bett und verdrehte die Augen, weil ich wußte, wie sehr sie das verabscheute. »Du kannst ihnen meinetwegen erzählen, ich hätte mich als Esel verkleidet, Gertie Rodney, aber halt wenigstens solange den Mund, bis ich fort bin.«
Gertie legte den Arm über den Mund und kicherte. Ich ließ mich davon anstecken. Wir glucksten beide vor unterdrücktem Lachen und schlugen uns gegenseitig freundschaftlich mit der Faust auf den Arm. Dann wurden wir beide schlagartig still. Ich beugte mich zu ihr. »Jetzt hast du wieder das ganze Bett für dich.«
»Nur, bis der Nächste kommt«, antwortete sie.
Mehr hatten wir uns nicht zu sagen. Gertie drehte sich auf die Seite und schloß die Augen. Ich holte meinen alten Zuckersack hervor, aber es gab nichts, das ich hineinpacken wollte. Ich wußte nicht, was ein Matrosenjunge so braucht, und von den Dingen, die die Rodneys mir gegeben hatten, mochte ich nichts mitnehmen. Ich nahm nur den Helm, sonst nichts.
Ich wußte, daß Gertie nicht mehr eingeschlafen war, sondern nur so tat. Ich spielte ihr Spiel mit und schlich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer und die Treppe hinunter.
Als ich die Haustür öffnete, umfing mich der kalte Morgen. Die dunkle Straße stank nach Fluß, nach schwarzem Lehm und Matsch. Die Luft wehte kalt gegen meine Wangen und biß mir in die Lungen. Dort, wohin ich ging, gab es keine wehenden Winde. Ich zog leise die Tür hinter mir ins Schloß und schritt langsam davon. Doch plötzlich blieb ich stehen, drehte mich um und rief:
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