Sophies Kurs
gleich so viele wie möglich mitnehmen.
Mr. Lismoyle lernte wie immer eifrig für sein Examen. Er hatte sich in die
Rossington-Tabellen der Tiden, Okklusionen und Fluxe
vertieft. In seiner Kabine roch es immer nach Tabak und schwarzem jamaikanischen Kaffee. Verstohlen entfernte ich die leere Kaffeekanne aus seiner Reichweite und legte ein paar heruntergefallene Stifte zurück.
»Guten Morgen, Sir«, grüßte ich ihn. Mr. Lismoyle grunzte nur.
Ich war ein guter Schiffsjunge. Ich trug die kitschige Jacke, die sie mir verpaßt hatten, und eine Mütze, die ich immer tief in die Stirn zog und nie abnahm. Mit meiner Hängematte richtete ich mich im Wasserlager dicht bei den Offizierkabinen häuslich ein. Dort hatte ich sogar einen Haken für meine Sachen. Manchmal, wenn das Schiff um die eigene Achse rollte, erwachte ich und sah meinen Mantel und meinen Helm über mir gemächlich die Decke des Decks entlangschweben.
Ich fühlte mich inzwischen im Raum ziemlich zu Hause, obwohl mir manchmal immer noch der Kopf schmerzte, wenn das Schiff schwer im hochgehenden Flux schlingerte und stampfte und das kalte Feuer in der Takelage knisterte und knackte. Das war dann meist der Moment, in dem ich erschauerte und seufzend meine Torheit, die Rodneys verlassen zu haben, verfluchte. Ich schrieb Briefe an sie, nannte sie darin ›Papa‹ und ›Mama‹ und fragte nach ›Bruder Johnny‹. Auf dieser Reise gab es häufig Momente, in denen ich wünschte, ich hätte mich mehr um Johnny gekümmert, in denen ich mich fragte, wie es ihm ging. Am Lambeth hatte ich nie viel über kleine Jungs nachgedacht –ebensowenig wie die anderen Mädchen. Jungs stießen doch immer nur Steine vor sich her oder kletterten die Laternenpfähle hoch, riefen Schimpfworte und prügelten sich meist in der Gosse. Johnnys überraschend aufgetauchter Bruder Ben, also ich, war nicht von der Sorte. Er war sehr gehorsam und pflichtbewußt, still wie eine Maus und vielleicht etwas einfältig.
Es stimmte, was Miss Halshaw mir vorgehalten hatte: Ich hatte überhaupt keine Ahnung, wie man ein Schiff segelt. Aber dafür wußte ich, wie man Dinge reparierte, und die Offiziere hielten mich alle ganz nett auf Trab. Mr. Crane ließ mich in der Messe noch spätabends die Gläser spülen, und ganz in der Früh mußte ich die Socken des Captains bügeln. Dabei konnte ich einen Tag nicht vom nächsten unterscheiden, denn nach meinem Gefühl war es immer Nacht. Die ganze Reise war eine einzige lange Nacht, die endlos fortdauerte, während ich von den Kabinen zur Messe und zurück eilte, Wasser und Wäsche holte, Würste und Rum servierte. Ich putzte Schuhe und band Zöpfe, fettete sie, bis sie so aufrecht standen wie der Schwanz eines Vogels. »Bursche!« pflegte Mr. Crane zu rufen, und schon war ich da, um seine Perücke zu bürsten.
Die
Unco Stratagem
hatte siebenundreißig Männer, vier Offiziere, einen Fähnrich und einen Koch an Bord, dazu, weil sie ein Zunftschiff der Gilde war, einen Schreiber und zwei Hellebardiere, die bei der Mannschaft schliefen und mit ihr Wache gingen. Die Männer waren wie die Matrosen überall – gedrungen und hart wie Nägel, oder schlank und beweglich. Die braunen Gesichter hatten sie meist dick eingeschmiert. Trotzdem waren sie von dem giftigen Licht gezeichnet. Sie hatten Narben an den Köpfen und tiefe Löcher an den Stellen, an denen die Strahlenfäule herausgeschnitten worden war. Seltsame Unfälle passieren, wo Dinge zwar Ausmaße, aber kein Gewicht haben. Dicke Klötze schweben plötzlich heran, oder verrutschende Rundhölzer brechen einem mit lautloser Wucht die Rippen. Mehr als ein Paar Beine hatte der Raumkrebs verkrüppelt, der die Knochen krümmte und schrumpfen ließ, und Jack Pace hatte dadurch schon zwei Finger seiner rechten Hand verloren. Doch das hielt ihn, wann immer er mich sah, nicht davon ab, mir zu zeigen, wie Knoten geknüpft wurden.
Ich räumte Mr. Lismoyles Kabine auf und achtete darauf, daß alles gut verzurrt war. Ehe ich ging, sagte ich zu ihm: »Heute abend um sieben, Sir, bei Mr. Cox
–Der Wegelagerer.«
Mr. Lismoyle fluchte und tat so, als wolle er mir den
Rossington
an den Kopf werfen. »Ich habe zu arbeiten, du Racker.« Das sagte er immer zu mir. Er zeigte mit dem Stift auf mich, als sei ich ein weiteres Problem, das er zu lösen hatte. »Sag auch Crane Bescheid, und dem Piloten.«
»Das werde ich, Sir.«
»Hast du ihn schon mal gesehen, Ben?«
»Nein, Sir.« Ich zerrte an den Enden eines Knotens.
Er
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