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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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tatsächlich hoffte ich darauf, denn ich brauchte unbedingt frische Luft. Aber diesen Stufen folgten weitere, immer tiefer in das Innere des Gebäudes, weg von den Menschen.
    Tiefer und tiefer, vorbei an einem stallähnlichen Ort, wo fette, schläfrige Eidechsen hinter einem Holzgatter im Stroh lagen. Als sie uns witterten, hoben sie den Kopf und begannen zu jaulen. Aber wir wollten nichts von ihnen. Weiter ging es in die Tiefe, tiefer hinein ins Dunkel, wo sich in den Ecken der Stufen schon Sand angesammelt hatte. Der Gestank der Eidechsen stach mir in die Nase – und der Geruch des schwarzen Wassers, der immer stärker wurde. Ich konnte die Ringe an Mr. Cox' Fingern spüren, die sich in meinen Arm gruben.
    Tief unter der Oberfläche, unter der Talsohle von Ys, verlangsamten wir unsere Schritte. Mr. Cox spähte in einen niedrigen, lichtlosen Gang.
    »Werden wir jetzt zum Schiff zurückkehren, Sir?« wagte ich zu fragen. »Soll ich uns eine Kutsche besorgen?«
    Meine Stimme hallte flach von dem tonnenschweren Gestein wider, das sich über uns türmte.
    Mr. Cox gab keine Antwort, sondern rief etwas in der Marssprache – ein scharfes, rollendes Wort.
    Von irgendwoher antworteten hastige Schritte. Ein Licht tauchte in dem Gang auf und kam näher. Es war eine Fackel, die aus einem unsichtbaren Seitengang auftauchte. Mr. Cox drängte mich vorwärts.
    Ein Marsianer hielt die Fackel. Er trug eine wallende Robe und Goldfarbe auf der Stirn und an den Ohren. Ich hielt ihn für eine Art Priester. Mr. Cox winkte ihn näher und begann sofort in fließendem Marsianisch auf ihn einzureden. Dabei hob er meine Hand hoch.
    Der Marsianer rollte die Ohren ein und antwortete mit einer einzigen krächzenden Silbe. Dabei hob er die Fackel und sah mich an. Der Fackelschein erhellte ein wenig die Dunkelheit hinter ihm. Ich bemerkte ein Eisengitter vor einem niedrigen, dunklen Raum, in dem schemenhafte Gestalten herumlagen. Ihre Augen schimmerten durch das Dunkel.
    Aus den weiten Falten seiner Robe zog der Priester einen seltsam gebogenen Schlüssel hervor. Er öffnete das Tor und führte uns in den Raum. In böser Vorahnung begann ich mich gegen den Griff von Mr. Cox zu wehren, doch mit einem Fluch und einem heftigen Stoß beförderte er mich in den Raum. Ich drehte mich zu ihm um. Er schloß das Tor und blieb davor stehen.
    Voller Furcht sah ich mich um. Ich konnte weder eine andere Tür noch einen weiteren Gang erkennen. Die abgestandene Luft stank nach Urin und Krankheit. Der Raum war sehr groß, und die Ecken auf der anderen Seite lagen im Dunkeln. Doch wohin ich auch blickte – überall lagen Leute in erschöpfter und geschlagener Haltung auf dem Boden. Es waren junge Frauen, vermutlich Kriminelle, oder Gefangene aus irgendeiner Schlacht oder einem mörderischen Überfall. Sie waren schmutzig und stanken, als seien sie schon seit längerer Zeit hier gefangen. Kein Wort, kein Stöhnen kam über ihre Lippen. Offenbar besaßen sie nicht einmal mehr die Kraft, sich vom Boden zu erheben. Mit traurigen, teilnahmslosen Augen sahen sie zu Mr. Cox und mir herüber.
    Ich bemerkte eine, die uns den Rücken zuwandte.
    Ich erkannte die gezackten Wundmale, den matten Schimmer von geronnenem Blut. Wir standen in der Speisekammer des grauen Gottes.
    Mr. Cox wandte sich mir zu. Er öffnete seinen schweren Mantel, dessen Goldbesatz im Fackelschein aufschimmerte. Die Hände hatte er in die Seiten gestemmt, und er wippte ungeduldig mit den Zehenspitzen.
    »Es ist deine eigene Schuld«, sagte er in einem Ton, in dem er sonst nicht mit einem Diener oder einem Kind redete. So redete ein Erwachsener mit einem anderen, wenn er sich für irgend etwas entschuldigte. »Ich fürchte, deine Zeit ist um.«
    Ich starrte ihn voller Entsetzen an. Ich spürte ein Würgen im Hals. Ich hoffte nur, daß er im Dunkeln nicht bemerkte, wie heftig ich zitterte.
    Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und sagte kühn: »Macht nichts, Sir. Ich werde schon eine andere Passage finden. Es gibt genügend Gentlemen wie Sie, die einen zuverlässigen Schiffsjungen brauchen können.«
    Meine Worte machten ihn wütend. Seine Hand schoß vor und fegte mir die Mütze vom Kopf, beförderte sie in den entferntesten Winkel.
    »Du törichtes Ding«, zischte er und schwang seinen Stock in meine Richtung. »Warum zur Hölle konntest du nicht dort bleiben, wo man dich zurückgelassen hat?«
    Ich spürte plötzlich das kalte Gewicht des Ringes unter meinem Hemd, zwischen meinen Brüsten. Mein Herr

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