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Sophies Kurs

Titel: Sophies Kurs Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Greenland
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mich, daß ich irgendwann anfing zu fluchen. Ich verfluchte Mr. Cox, der so getan hatte, als wüßte er nichts. Ich verfluchte die
Unco Stratagem,
die mich hierhergebracht hatte. Ich verfluchte Miss Halshaw, die mich an Bord geschmuggelt hatte, und Captain Estranguaro, der über die Anwesenheit des Schiffes in der Zeitung gelesen hatte. Ich verfluchte die Rodneys, daß sie mich nicht von meiner Dummheit abgehalten hatten, und danach Papa, weil er nicht besser auf mich achtgegeben und wie ein Idiot seinen Tee getrunken hatte, obwohl schon der Geschmack ihm hätte verraten müssen, was ich vorhatte.
    Als mir niemand mehr einfiel, auf den ich fluchen konnte, machte ich mich ganz klein und weinte. Ich wollte eigentlich nur ein wenig weinen, aber kaum hatte ich einmal damit begonnen, konnte ich nicht mehr aufhören. Dabei bebte und schluchzte ich wie eine Verrückte, was mich selbst erschreckte. Ich glaube, auch die Engel fürchteten sich vor mir – zumindest die, deren Sinne noch nicht ganz vernebelt waren. Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte. Danach lag ich auf dem rauhen Felsboden, fror erbärmlich und fühlte mich sehr schwach. Ich dachte, was für ein Dummkopf ich doch war.
    Die Angst kam und ging in Wellen. Aber noch schlimmer war die schreckliche Langeweile, die einen plötzlich überfiel und jeglichen anderen Gedanken verdrängte. Ich hatte schon längst jedes Zeitgefühl verloren, und nun verschwand auch das Gefühl für den Raum. Phasenweise nickte ich ein, nur um von dem rauhen Boden, dessen Kanten und Rillen sich in meinen Körper drückten, und dem kalten Eisen an meinem Bein in der nächsten Minute wieder geweckt zu werden. Ein einziges Mal am Tag fiel Licht in unser Verlies – wenn man uns das Essen brachte: eine Schüssel voll gekochter Wurzeln für jede Jungfrau. Wir waren die Auserwählten und daher dieser Sonderbehandlung würdig. Ich bin sicher, der Brei enthielt auch Moos, um uns im Dämmerzustand zu halten und unsere Träume zu nähren. In meiner Hosentasche fand ich noch ein halbvolles Paket Nitro-Pastillen und beschloß, sie mir sehr sorgfältig einzuteilen.
    Eines Nachts, hätte ich beinahe gesagt, wollte aber sagen: Ich schlief gerade mal wieder, als es losging.
    Eine der Engelfrauen begann zu stöhnen und zu kreischen. Ich weiß nicht, woher sie die Kraft nahm. Aber sie jammerte und jammerte, bis ich sie laut anschrie. Doch sie hörte nicht auf. Hin und wieder erhoben sich einige ihrer Schwestern und begannen ebenfalls zu schluchzen oder krächzend auf sie einzureden. Dann hielt sie einen Moment inne, begann aber gleich wieder aufs neue. Nach einer ganzen Weile war vom Tor ein Klirren zu hören, und ein Mann mit einer Kerze in der Hand kam herein. Er ging zwischen den Körpern hindurch und musterte die Körper, die Gesichter. Wenig später hörte man einen dumpfen Schlag, und das Gejammer brach ab.
    Das Leben auf Mars ist tödlich, und der Tod ist ein Dämon mit vielen Armen.
    In alter Zeit war Mars der Name eines Gottes. Ich erinnerte mich aus meinem Ovid an ihn. Es war der Gott des Krieges. Während ich auf dem Boden lag, lauschte ich Seinen Geräuschen in dem See unter uns, in dem so stillen, schwarzen Wasser, hörte ihm zu, wie er aß. Und ich wußte, die Marsianer hatten recht, und Papa auch, denn er hatte das gleiche gesagt. Wenn es wirklich einen Gott gab, der alles erschaffen hatte und für alles verantwortlich war, dann mußte er so sein wie das graue Monster dort unten. Ein Gott der Vernichtung und des Verfalls. Ein Gott des Todes. Denn überall liefen die Dinge in diese Richtung. Und daß Gott überall herrschte, das wußte ich inzwischen auch.
    Ich dachte an den Totenacker neben der St.-Saviour-Kirche, auf dem meine Mutter namenlos und ohne Grabstein verscharrt war. Über eine Stunde lang war ich durch das nasse Gras des Friedhofs gekrochen und hatte nach einem Grabstein mit ihrem Namen gesucht, doch offensichtlich waren sie und ihre Schwestern keines Grabmals würdig gewesen. Selbst in die Kirche hatte ich hineingeschaut, um jemand zu fragen, aber alle knieten in den Bänken und lauschten einem Pastor mit schwarzem Bart, der laut zu ihnen über Sünde und das Fegefeuer sprach. Ich machte schleunigst, daß ich wieder hinauskam. Bei der Obstfrau in Cheapside kaufte ich mir einen Apfel und fragte sie nach dem Weg zur Turkey-Passage und zu meinem Geburtshaus.
    Ich war der Ansicht, daß ich das Haus sofort auf den ersten Blick erkennen würde. Seine Ziegelstein-Fassade würde

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