Sophies Kurs
kannte mich – natürlich kannte er mich. Schon die ganze Zeit hatte er gewußt, daß ich nicht Ben Rodney vom Lambeth Walk, sondern Sophie Farthing von der Radigunds Werft auf High Haven war. Aus irgendeinem Grund hatte er nun dieses Spielchen – und mich – satt.
Der kalte Atem des Mars durchdrang mich bis auf die Knochen. »Weil Sie meine Mutter getötet haben«, antwortete ich.
Der Emissär der Piloten gab einen wütenden Seufzer von sich, und ich hörte das metallische Klicken, als er seinen Kiefer zuklappte. »Nicht ich, Kindchen«, versicherte er mir kalt. »Hätte ich diesen Auftrag gehabt, hätte ich ihn auch zu Ende geführt, das kannst du mir glauben.« Er zog seine Taschenuhr hervor und blickte darauf, während er weitersprach. »Das erinnert mich an etwas. Da war doch noch ein Ring, nicht wahr?«
Ein schrecklicher Gedanke erwachte in mir und machte sich so ekelerregend in meinem Kopf breit wie der graue Gott in seinem Brunnen. Ich konnte meine Tränen nicht mehr länger zurückhalten. »Dein Ring!« rief ich und schluckte schwer. Meine Stimme bebte. »Dein Ring – Vater!«
Mein Ausbruch verblüffte ihn. Er zeigte ein ungläubiges Lächeln aus Knochen und Eisen. Das Halbdunkel verzerrte sein Gesicht zu einer Fratze. »Ich ...?« Er machte eine spöttische Verbeugung. Dann brach er in ein wieherndes Lachen aus. »Also, das ist stark, Kindchen! Das ist wirklich köstlich.«
Plötzlich übermannte mich die Wut und riß mich mit wie eine Flutwelle ein leeres Boot. Ich schlug nach ihm, doch der Marsianer packte mich gekonnt um die Taille. Ich wehrte mich gegen seine Umklammerung, aber er trat mir die Füße unter dem Körper weg und verdrehte meinen Arm, bis ich vor Schmerz schrie. Die Engel miauten schwach und bewegten sich unruhig in ihren Ketten.
Mr. Cox wurde sofort wieder ernst und schnippte mit den Fingern. »Den Ring, wenn ich bitten darf!« »Ich habe ihn nicht mehr!«
Er hob den Kopf.
»Ich habe ihn versetzt!« log ich. »Ich habe ihn zu Frankie Snows Pfandhaus in Vauxhall gebracht. Er gab mir zwei halbe Kronen dafür, für die ich mir heiße Kastanien und Zervelatwurst gekauft habe!«
Wir starrten uns gegenseitig einen Moment lang an, zwei fremde Kreaturen, in ihrer Wut gefangen. Schließlich verlor Mr. Cox die Geduld, tippte an seinen Hut und verließ das Verlies.
Ich hörte seine Schritte die Steinstufen hinaufeilen.
KAPITEL XIII
Über das Leben auf dem Mars
Das Leben auf dem Mars ist unbequem. Man macht diese Erfahrung, früher oder später.
In der Stadt Toussous am Rand der Ulsvar-Wüste lebt ein alter Raumfahrer namens Pierron, der eine Marsianerin zur Frau nahm. Ich beobachtete häufig, daß er spät nachmittags aus seiner Hütte heraustrat und sich an den Türpfosten lehnte, die Augen voller Träume. Dort stand er dann, rieb sich die Arme und rief nach seinen Mischlingskindern, damit sie nach Hause kamen. Seine Frau, sagte er, habe ihm erzählt, daß ein Sturm aufzöge. Aber wo ist sie denn jetzt? Noch vor einem Augenblick hat sie hinter ihm gestanden. Pierron dreht sich um und schaut ins Innere der Hütte. Sie ist nicht da. Er weiß nicht, wo sie ist. Schließlich erinnert er sich, daß er keine Frau mehr hat. Sie ist schon seit Jahren tot, gestorben an einer mysteriösen Krankheit. Das hat mir der Lebensmittelhändler erzählt. Eines Tages bekam sie Schnupfen, und am nächsten Tag starb sie.
Alle paar Tage macht der arme Mann dieses Elend durch. In seinen Träumen ist seine Frau wirklicher als das kalte orangefarbene Tageslicht, realer als der Metallstaub und der Wind. Wieder einmal kommt sie dann mit dem Wasserkrug vom Kanal zurück, hat die Haube über den Kopf gezogen und den typischen warnenden Blick in ihren schwarzen Augen – und Pierron stolpert zur Tür, von seinem Gefühl getrieben, und ruft über die leere Straße hinweg laut nach seinen Kindern. Sie kommen gelaufen und umringen ihn, legen ihre Arme um ihn, wobei ihre Ohren vor Bestürzung beben. »Sie können eines jeden Erinnerungen riechen«, behauptet der Lebensmittelhändler.
Sie haben gelernt, auf Pierrons Warnungen zu hören, seine Nachbarn in Toussous. Wenn Pierron sagt, es gibt Sturm, schließen sie die Fensterläden und stopfen die Ritzen in den Türen mit zerrissenem Sackleinen und dem Stoff, den die Marsianer aus den Fasern getrockneter Kakteen weben. Der Himmel kann immer noch klar und leuchtend sein, aber gegen zwei Uhr wird er dann unglaublich schnell sehr dunkel. Ein starker Wind springt auf,
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