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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Iron & Wine singen We Gladly Run in Circles, und im Garten schimmern und winken erneut die weißen Köpfe eines Lilienstraußes.

DER MANN, DER NICHT DA WAR
    Der Mann ist dabei, seinen zweiten Kaffee zu trinken, als das Leben in der Villa langsam erwacht. Licht im ersten Stock, Licht im Erdgeschoß. Kris und Tamara. Er weiß jetzt alles, was er über das Mädchen und den Bruder wissen wollte. Sie haben gestern zwei Stunden gebraucht, bis sie das Verschwinden des Jungen bemerkt haben. Sie haben die Gegend nach ihm abgesucht. Der Mann hat alles beobachtet. Sie waren bis spät in die Nacht wach. Wolf. Der Junge hat darauf bestanden, daß er ihn bei seinem Namen nennt. Der Mann hat sich darauf nicht eingelassen. Er nippt von seinem Kaffee und hebt wieder das Fernglas. Er ist ein geduldiger Mensch. Er weiß, daß sie die Lilien im Garten jeden Moment entdecken werden.
     
    Gestern mittag sah er das Mädchen nervös rauchend unter einer der Kastanien sitzen und zum Haus der Belzens hinübersehen. Er war unbesorgt. Er wußte, sie konnte ihn nicht sehen. Er fokussierte das Fernglas. Er war dem Mädchen so nahe, daß er ihr Gesicht im Detail erkennen konnte. Der Anblick war befriedigend. Furcht und Sorge.
    Ich sehe was, was du nicht siehst.
    Das Mädchen ging wieder in die Villa. Der Mann wartete auf den Bruder und wurde enttäuscht. Nach fünf weiteren Minuten wandte er sich vom Fenster ab und stieg hinunter in den Keller. Er versuchte, dabei leise zu sein.
    Das erste Mal hat der Mann ihn früh um neun besucht. Er hat ihn gefesselt und ihm einen Kissenbezug über den Kopf gezogen. Der Junge war vollkommen orientierungslos. Der Mann konnte sehen, daß es dem Jungen schlechtging. Sein Herzschlag war unregelmäßig, und er hatte Schwierigkeiten, zu atmen. Der Mann weiß, daß dafür das Anästhetikum verantwortlich war. Sein Arzthat ihm zwar die Nebenwirkungen von Isofluran erklärt, aber es gibt nun mal einen großen Unterschied zwischen Theorie und Praxis.
    Der Mann verschob den Kissenbezug nach oben und hielt dem Jungen eine Wasserflasche an den Mund. Der Junge spuckte und fluchte, er wollte nicht trinken. Daraufhin ging der Mann wieder nach oben und beobachtete weiter die Villa.
    Das zweite Mal kam der Mann bis auf drei Meter an den Jungen heran, bevor der sich ihm zuwandte. Er hat ihn nicht mehr beschimpft, nur gelauscht.
    Er weiß nicht, ob ich wirklich da bin.
    Der Mann versuchte, sich an das Gefühl zu erinnern, jung und hungrig und hilflos zu sein. Es war schwierig. Er ist jetzt immerwährend hungrig, und sein Körper wird von diesem Hunger ausgezehrt. Früher hieß hungrig sein stark sein. Heute sind die Hungrigen hilflos und schwach. Die Gerechtigkeit dieser Welt ist eine Lüge.
    Der Junge saß nackt auf dem Stuhl. Muskeln, Sehnen, die dunklen Flüsse der Adern. Das Nest zwischen seinen Beinen war nur ein Schatten, Schweiß bedeckte seine Brust. Es war sehr heiß im Keller. Der Mann stand reglos vor dem Jungen und bewunderte seinen Körper. Er hätte an diesem Morgen viel dafür gegeben, die Haut des Jungen zu tragen.
    Nur für einen Tag, laß es eine Stunde sein.
    Der Mann seufzte und verriet sich dadurch. Der Junge legte den Kopf nach hinten und rief um Hilfe. Der Mann konnte hören, daß es seiner Atmung besserging. Auch der graue Hautton war verschwunden. Hand- und Fußgelenke waren blutig gerieben, das Nylonband hatte sich tief in die Haut versenkt. Der Junge mußte Schmerzen haben.
    Der Mann ertrug die Hilferufe für eine Minute, danach ging er wieder hoch und wusch sich die Hände. Er konnte nicht anders, er hatte den Jungen berühren müssen. Der zitternde Oberschenkel, die Weichheit der Haare.
    Es ging nicht anders.
    Er stellte das Wasser ab und lauschte. Er war ohne Sorge. Das Haus verschluckte die Schreie wie ein trockener Erdboden einenplötzlichen Regenfall. Der Mann blickte auf seine Uhr. Er würde dem Jungen ein paar Stunden geben, um sich zu beruhigen, dann würde er ihn wieder besuchen kommen.

WOLF
    Wolf versucht, sich zu erinnern. Er sitzt im Dunkeln und fühlt sich wie nach einer Operation. Weggetreten, bedröhnt und nicht wirklich am Leben. Irgendwas liegt um seinen Kopf und versperrt ihm die Sicht. Er spannt die Arme an. Die Hände liegen auf seinem Rücken, die Füße lassen sich nicht bewegen. Wolf versucht aufzustehen, es gibt einen Ruck, die Luftröhre wird ihm zugeschnürt. Er fällt auf den Stuhl zurück und schnappt nach Luft. Wo bin ich? Wolf versucht zu rekonstruieren, was ihn

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