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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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Pinnwand. Zettel, Aufkleber, Sprüche und Notizen. Er nimmt einen der Zettel und dreht ihn um. Auf die leere Rückseite schreibt er eine Nachricht. Er drückt sie mit einer Nadel in die Pinnwand. Nein, so wird sie niemandem auffallen. Er nimmt den Zettel und sucht sich einen Platz über der Spüle zwischen zwei Konzertplakaten. Lloyd Cole & The Commotions links und Madrugada rechts. Er tritt einen Schritt zurück. Es gefällt ihm, was er sieht. In dem dämmrigen Mondlicht paßt sein Zettel perfekt zwischen die Plakate.
    Er kehrt in den Flur zurück und will die Treppe hochsteigen, alsihm sein Spiegelbild begegnet. Er hält sich kurz den Zeigefinger an die Lippen und geht weiter. Die Treppe knarrt nicht, die Scharniere der Türen sind geölt.
    Als würden sie mich erwarten.
    Das Mädchen schläft auf der Seite. Eine Hand neben dem Kopf, die andere um ein Knie gelegt. Er betrachtet ihr Gesicht, er sieht, wie ihre Lippen sich beim Atmen bewegen. Leicht . Er wendet sich ab und spürt die Zuversicht. Er ist, wer er ist. Eine Minusstelle.
    Er findet hinter den nächsten zwei Türen Büros und schließlich ein verlassenes Zimmer mit einem ungemachten Bett. Die Regale sind leer, an einer Wand stehen Koffer, Taschen, Kartons. Es sieht ganz danach aus, als würde einer von den vieren bald ausziehen.
    Ein Stockwerk höher bleibt er eine Weile bei dem älteren Jungen und bewundert die Zerbrechlichkeit seines Schlafs. Das letzte Zimmer liegt am Flurende. Er schließt die Tür hinter sich und hockt sich neben das Bett. Er ist überrascht, wie leicht ihm alles fällt. Als wäre er schon oft hier gewesen. Sein Herz schlägt rhythmisch, die Muskeln sind geschmeidig, alles ist im Gleichgewicht. Er wünscht sich, sein Arzt könnte ihn jetzt sehen. Heute nacht traut er sich alles zu.
    Die Pupillen unter den Augenlidern des Jungen wandern. Der Mann legt ihm die Hand auf die Stirn. Da ist so viel Traurigkeit. Er spürt es. Die Pupillen kommen zum Stillstand. Ein Mensch kann im Schlaf nichts verbergen , denkt er und flüstert beruhigend:
    – Ich bin ja da.

KRIS
    Am nächsten Morgen ist Wolf verschwunden.
    – Was meinst du mit er ist verschwunden ?
    Tamara zeigt zur Treppe hoch.
    – Sieh es dir selbst an.
    Kris geht nach oben. Die Zimmertür ist angelehnt, die Bettdekke zurückgeschlagen, das Bett gemacht. Wolf macht nie sein Bett. Die Kleidung vom Vortag liegt über einem Stuhl, das Handy und die Uhr auf dem Nachttisch daneben. Kris geht wieder hinunter. Im Flur stehen Wolfs Schuhe, die Jacke hängt am Haken, und als Kris in die Taschen greift, findet er Wolfs Schlüssel.
    Er öffnet die Haustür. Wolfs Wagen steht noch an derselben Stelle, an der er ihn gestern abgestellt hat.
    – Verstehst du jetzt, was ich meine? sagt Tamara hinter ihm. Kris dreht sich nicht um. Er versteht, was sie meint.
    Wolf ist verschwunden.
     
    Alles ist möglich. Wolf hat andere Schuhe genommen, Wolf braucht keine Jacke, draußen ist es mild, Wolf hat alles vergessen, Wolf hat genug und macht eine Weltreise. Alles ist möglich.
    Aber Wolf würde nie einfach so verschwinden. Nicht Wolf.
    – Ich wünschte, wir hätten uns gestritten, sagt Kris und rüttelt am Tor zum Grundstück, das noch immer verschlossen ist. Tamara schaut hoch.
    – Glaubst du, er ist drübergestiegen?
    – Vielleicht. Oder über die Mauer. Das schafft ein Zehnjähriger, ohne sich groß Mühe geben zu müssen.
    – Aber wieso sollte er?
    – Gute Frage.
    Tamara schüttelt den Kopf.
    – Wolf würde nie seine Schlüssel vergessen.
    Sie kehren in die Villa zurück und durchsuchen jede Ecke und Nische. Aber was sie auch tun, Wolf bleibt verschwunden.
     
    Sie warten bis zum Mittag. Sie rufen bei Lutger an und melden sich bei den Leuten, die in Wolfs Adressbuch gespeichert sind. Sie sitzen über seinem Kalender. Der nächste Termin wäre in zwei Tagen in Duisburg gewesen. Sie rufen in Duisburg an. Sie warten weiter. Um vier Uhr schließt Kris sich auf der Toilette ein und versucht, Meybach über das Handy zu erreichen. Tamara soll es nicht erfahren. Niemand hebt ab, keine Mailbox, nichts. Meybachs Worte klingen in seinem Kopf nach: Ich werde jetzt verschwinden. Wir existieren nicht mehr füreinander. Kris muß sich zurück halten, nicht nach Charlottenburg zu fahren und vor Meybachs Tür zu kampieren. Er ist in Panik, er weiß nicht, was er tun soll.
    – Wo willst du hin?
    – Ein bißchen an die Luft, vielleicht laufe ich ja Wolf über den Weg.
    Kris weiß, wie lahm das klingt. Keine

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