Sorry
das Boot gestiegen. Sie hat Tamara gegenüber Platz genommen und sich die Decke über die Schultern gezogen. Seitdem sind sie auf dem Wasser, und Astrids Laune bessert sich nicht.
– Ich hasse offene Gewässer, sagt sie.
– Das ist der Wannsee und nicht der Ozean.
– Trotzdem.
Sie fahren unter der Wannseebrücke durch. In der Luft liegt eine Ahnung von Regen. Es ist der mildeste Winter seit langem. Tamaramag das Gefühl in den Händen, wenn die Ruder das Wasser teilen. Sie wirkt sehr zufrieden.
– Warum siehst du so zufrieden aus?
– Ich freu mich, dich zu sehen.
– Du hättest das schon längst haben können, wenn du dich mal zwischendurch gemeldet hättest. Ich bin deine große Schwester, was glaubst du, was für Sorgen ich mir gemacht habe?
– Ich wollte ja anrufen - - -
– Du hast nicht angerufen. Du verschwindest für sechs Monate, ohne daß irgend jemand weiß, wo du bist, und dann das hier ...
Sie zeigt über den Wannsee, als würde der See Tamara gehören. Tamara rudert weiter und grinst. Astrid findet das überhaupt nicht witzig und tritt gegen Tamaras Bein.
– Autsch!
– Hat das weh getan?
– Natürlich hat das weh getan.
– Gut so. Was war jetzt los mit dir?
– Ich hatte zu tun.
– Oh, busybusy.
– So könntest du es auch nennen.
Astrid zündet sich eine Zigarette an und beobachtet Tamara aus schmalen Augen. Sie fahren am S-Bahn-Betriebswerk vorbei und nähern sich dem hellerleuchteten Krankenhaus.
– Muß ich es dir aus der Nase ziehen?
– Ich habe gearbeitet.
– Aha.
– Ich habe Geld gemacht, Astrid. Viel Geld.
Astrids Mund geht auf.
– Du hast doch keine Bank ausgeraubt oder irgend so was?
– Nichts dergleichen, sagt Tamara und hält die Ruder ins Wasser, um das Boot abzubremsen, dann zeigt sie zum Ufer.
– Schau mal, da drüben.
Das Haus ist mit Efeu zugewachsen und wirkt uneinnehmbar. Der Garten erinnert an ein botanisches Experiment, aber das ist nur der erste Eindruck. Wer genauer hinsieht, kann die Wege und den Plan dahinter erkennen. Der Garten ist bis in das letzte Detail durchdacht, selbst die Terrasse gehört dazu. Ein Holztisch undzwei Stühle stehen draußen und sind mit einer Plastikplane zugedeckt.
– Da wohnen die Belzens, spricht Tamara weiter. Beide sind um die Siebzig und sehr nett. Einmal in der Woche spazieren sie an der Uferpromenade entlang, nehmen die Fähre und trinken auf der Pfaueninsel einen Kaffee. Wenn ich so alt bin, will ich das genauso machen.
Astrid legt den Kopf schräg.
– Tamara, was soll das?
Tamara zeigt auf die andere Uferseite.
– Und da wohnen wir.
Die gegenüberliegende Uferseite ist gut fünfzig Meter entfernt. Durch die dichtstehenden Bäume hindurch ist eine alte Villa zu erkennen. Sie hat zwei Stockwerke und auf der linken Seite einen Turm. In drei Fenstern brennt Licht.
Wenn jetzt ein Feuerwerk hochgehen würde, fände Tamara das sehr passend. Der Anblick erinnert sie immer wieder an den Anfang des Winters und wie es gewesen war, spät in der Nacht zum Ufer hinunterzugehen und auf die Villa zurückzuschauen. Als wäre alles nur ein Traum und die Villa könnte jeden Moment verschwinden. Tamara hat das tiefe und sichere Gefühl, angekommen zu sein.
– Du machst Witze, oder?
– Wollen wir an Land gehen?
Astrid legt eine Hand auf Tamaras Arm, um sie am Weiterrudern zu hindern.
– Sag, daß du Witze machst.
– Ich mache keine Witze.
Astrid schaut zur Villa, dann wieder zu ihrer Schwester.
– Wen hast du dir nur geangelt?
– Niemanden.
– Niemanden mit viel Kohle? Jetzt hör aber auf.
– Nein, wirklich, sagt Tamara und merkt an ihrer Stimme, daß sie es selbst noch nicht richtig begriffen hat. Ein halbes Jahr ist vergangen, seit sie die Agentur gegründet haben, und es fällt ihr immer noch schwer zu glauben, daß sie so weit gekommen sind.
– Kris hatte da eine Idee, beginnt sie und erzählt ihrer Schwester, was geschehen ist.
Anfangs meldeten sich nur Firmen mit internen Problemen. Dann kamen Firmen, die sich bei anderen Firmen entschuldigen wollten. Es gab auch private Anfragen, aber die wurden schnell ausgeklammert. Die Agentur hat kein Interesse daran, Ehen zu kitten oder sich für jemanden zu entschuldigen, der aus Versehen eine Katze angefahren hat. Anfangs waren sie nur auf Berlin beschränkt, doch als sich in den folgenden Wochen die Anfragen aus dem Süden und Westen Deutschlands häuften, sagte Kris:
– Entweder wir gehen über Berlin hinaus oder jemand anders wird es
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