Sorry
noch gibt. Außer in Filmen natürlich. Alle paar Minuten ist im Hintergrund leise die S-Bahn zu hören, und vom Wintergarten aus kann man beim Frühstück auf das Ufer des Kleinen Wannsees schauen. Selbstverständlich gab es einige Vorbehalte. Wer zieht schon mit Ende Zwanzig an den Rand von Berlin, um dort eine Villa zu renovieren? Entweder irgendwelche prähistorischen Hippies, die Geld von den Eltern geerbt haben, oder knackig gebräunte Filmproduzenten, die ihre Einnahmen anlegen müssen. Aber sie?
Sie pfiffen darauf.
Die Villa entpuppte sich als Traum, ein baufälliger Traum zwar, aber sie lebten diesen Traum. Für Tamara ist es noch immer unfaßbar, wie schnell alles ging. Der Makler strich seine Prozente ein, die Bank winkte sie durch, und die Villa gehörte ihnen. Fraukes Vater kam mit einem Trupp von Arbeitern, und gemeinsam rissen sie Wände ein, schabten die alten Tapeten herunter, besserten die Böden aus und verlegten neue Leitungen, so daß die Villa Anfang Januar einzugsbereit war.
In der ersten Woche liefen sie fassungslos durch die Räume. Überall abgezogene Dielen, die Wände frisch geweißt, die Villaerfüllt von Licht. Der Mief ihrer Jugendzeit lag hinter ihnen. Mit einem Schlag war alles stilvoll und echt; mit einem Schlag fühlten sie sich erwachsen.
Im Erdgeschoß befinden sich der Wohnraum, eine Bibliothek und die Küche. Im ersten Stock sind die Arbeits- und Schlafzimmer von Frauke und Tamara, die Brüder übernahmen das Stockwerk darüber.
Es ist perfekt, es läuft so gut, daß Tamara sich diese Konstellation bis an ihr Lebensende vorstellen kann. Hier draußen am Kleinen Wannsee mit Blick aufs Wasser und Zugang zu einem Steg.
Ihr ganz eigenes Paradies.
– Es ist einfach perfekt, schließt Tamara. Das ist alles. Mehr ist nicht passiert.
Astrid will gerade einen Kommentar abgeben, als sie hinter sich ein Rufen hören.
– Huhu, Tamara!
Die Schwestern drehen sich um. Helena Belzen steht am Ufer und winkt. Sie ist vierundsiebzig und trägt einen Pullover, der sie wie das Michelin-Männchen aussehen läßt. Um Hüfte und Hals hat sie jeweils einen Schal gewickelt, auf dem Kopf trägt sie eine Wollmütze. In der rechten Hand hat sie eine Schaufel, in der linken einen Eimer.
– Helena, das ist meine Schwester Astrid, stellt Tamara sie vor.
– Freut mich, sagt Helena und zeigt mit dem Spaten auf das Ruderboot. Ist es nicht ein wenig kalt, um auf dem See rumzufahren?
– Sagen Sie das mal meiner Schwester, sagt Astrid.
– Wie geht es euch? fragt Tamara.
– Joachim nimmt mal wieder sein Radio auseinander, und ich kann die Finger nicht vom Garten lassen, antwortet Helena und wackelt mit dem Eimer. Ich könnte den ganzen Tag in der Erde wühlen. Sehen wir uns Sonntag?
– Ich bringe den Kuchen.
– Wunderbar!
Helena winkt zum Abschied und verschwindet im Dickicht ihres Gartens.
– Du hältst mit der Alten ein Kaffeekränzchen? flüstert Astrid.
– Sie hat mich schon viermal eingeladen, irgendwann wird es peinlich. Außerdem mag ich die Belzens. Warte mal, bis du ihren Mann siehst. Die zwei sind ein Traumpaar. Am Tag unseres Einzugs haben sie mit ihrem kleinen Boot auf unserer Seite angelegt und uns einen Beutel mit Salz und frisches Brot gebracht.
– Wozu braucht man da noch Eltern, stellt Astrid fest und schaut wieder zur Villa. Ich glaube es noch immer nicht. Wärst du nicht meine kleine Schwester, würde ich dich jetzt ins Wasser stoßen, ist dir das klar? Scheiße, wieso passiert mir das nicht? Hast du eine Ahnung, wie viele Typen ich schon abgeschleppt habe mit der winzigen Hoffnung, daß einer davon so viel Kohle besitzt, um mir so was zu kaufen? Ich hasse dich, weißt du das?
– Ich weiß.
– Und wieso mußt du dann grinsen?
– Vielleicht weil es so kalt ist?
– Sehr witzig, Tammi.
Sie grinsen sich an.
– Kann ich die Bude zumindest auch mal von innen sehen, bevor du mich wieder in mein mickriges Leben verbannst?
Tamara senkt die Ruder ins Wasser und nimmt Kurs auf die Bude.
KRIS
Es hat einen halben Tag gedauert, bis sie Julia Lambert aufgespürt haben.
Die Arbeitsvermittlung hielt sich bedeckt, also hat Kris versucht, über Umwege ihren neuen Arbeitsplatz ausfindig zu machen. Frauke hat ihm dabei geholfen. Sie brauchte fünfzehn Minuten, um sich bei der Arbeitsvermittlung einzuloggen.
– Wie strafbar hast du dich gemacht? wollte Kris wissen. Frauke hielt Daumen und Zeigefinger einen Millimeter auseinander.
Julia Lambert ist seit einer
Weitere Kostenlose Bücher