Sorry
Woche in der Firma. Das Büro mit Aussicht auf den Parkplatz wirkt wie ein Aufenthaltsraum. Kartons in der Ecke, provisorisch verlegte Stromkabel, eine eingestaubte Pflanze am Fenster. Wahrscheinlich weiß Julia Lambert noch nicht, ob es sich lohnt, diesen Arbeitsplatz voll und ganz für sich einzunehmen. Ihr Zögern ist wie einer der vier Kunstdrucke, der als einziger schief an der Wand hängt.
– Ich kann es nicht glauben, daß Hessmann Sie schickt, sagt sie und schlägt die Beine übereinander. In ihrer rechten Hand hält sie die Visitenkarte der Agentur und dreht sie zwischen den Fingern.
– Sie haben bestimmt gehört, wie wir uns getrennt haben.
Kris nickt, Hessmanns Sekretär hat ihm alles erzählt. Der Chef selbst wollte sich dazu nicht äußern.
– Es hat mich erstaunt, daß Sie den Vorfall nicht zur Anzeige gebracht haben, sagt Kris.
Julia Lambert lacht einmal kurz auf.
– Wie wollen Sie gegen jemanden wie Hessmann vorgehen? Er hat mehr Anwälte als Angestellte. Und wer sollte mir glauben? Was für Beweise habe ich? Eine Weile habe ich darüber nachgedacht,den Bürokomplex in Brand zu stecken, aber können Sie sich vorstellen, wohin mich das geführt hätte?
In den Knast , denkt Kris und gibt ihr recht, sie hat richtig gehandelt.
– Ich bin hier, um mich bei Ihnen zu entschuldigen, sagt er.
– Sie?
– Ich.
– Wieso Sie?
– Meine Agentur vertritt Hessmann. Seit wir den Auftrag angenommen haben, ist es für mich eine persönliche Angelegenheit, wenn mein Mandant Fehler macht. Ich bin so was wie sein Gewissen. Und Sie können darauf wetten, daß selbst jemand wie Hessmann ein reines Gewissen haben will.
Sie reagiert darauf nicht, sie schaut auf die Karte.
– Deswegen Sorry ?
– Weil wir uns entschuldigen.
– Für andere?
– Für andere, ja. Wollen Sie mir vielleicht in Ihren Worten schildern, was passiert ist?
– Ich denke nicht.
– Sind Sie sicher?
Julia Lambert nickt und verschränkt die Hände ineinander. Die Karte liegt vor ihr auf dem Tisch. Kris sollte jetzt nicht drängen. Ihre Gesten sind eindeutig. Es ist aber ein gutes Zeichen, daß sie die Visitenkarte mit dem Gesicht nach oben auf den Tisch gelegt hat. Kris kann das Logo sehen, er ist sehr zufrieden mit dem Logo. Sie sehen sich an. Kris wird den Mund halten, bis Julia Lambert als erste spricht. Sie braucht Zeit, um über seine Worte nachzudenken.
Ihre Geschichte ist typisch. Seit Sorry den ersten Auftrag angenommen hat, gab es mehrere solcher Fälle. Ihr Chef hatte eine Affäre mit ihr und ließ sie gehen, als er Lust auf Frischfleisch bekam. Auch so kann man das Ende einer Karriere beschreiben. Der Sekretär hat es natürlich mit anderen Worten ausgedrückt.
Julia Lambert wirkt wie jemand, der aus seinen Fehlern lernt. Kris kann sehen, daß sie von allein wieder auf die Beine kommen wird. Er sieht aber auch, daß die Erniedrigung sie noch immer beschäftigt. Sich nicht wehren können, dem Wort eines Mannesausgeliefert sein, der erst ihr Chef, dann ihr Liebhaber und dann wieder ihr Chef gewesen ist.
Wenn es um Gefühle geht, knicken wir alle früher oder später ein , denkt Kris und ist froh, den Gedanken für sich zu behalten.
– Sie müssen sich nicht entschuldigen, sagt Julia Lambert nach einer Minute.
– Niemand hat etwas von müssen gesagt, erwidert Kris. Hessmann weiß, daß er einen Fehler gemacht hat. Und Sie wissen, daß er es Ihnen gegenüber persönlich nie zugeben würde. Jemand wie Hessmann macht es sich leicht. Er wechselt die Frauen in demselben Tempo, in dem er sich für eine Krawatte entscheidet.
Ihre Augenbrauen ziehen sich zusammen, Kris könnte sich auf die Zunge beißen. Wie kann ich nur so dämlich sein? Was ist das hier? Ein Plausch bei einem Glas Bier? Er hat Julia Lambert verallgemeinert und damit einen groben Fehler begangen.
– Es tut mir leid. Das Bild war unpassend.
– Reden Sie ruhig weiter.
– Ich bin nicht hier, um Ihnen Geld anzubieten, sagt Kris, obwohl er genau deswegen hier ist. Geld ist bequem, und ich denke, es geht Ihnen um mehr als nur um Bequemlichkeit.
Treffer. Sie nickt nicht, sie schüttelt nicht den Kopf, ihre rechte Hand hat die Visitenkarte wiedergefunden und dreht sie zwischen den Fingern. Sie wartet auf mehr.
– Wie Sie wissen, hat Hessmann Kontakte. Die Branche hört auf ihn. Und wenn ich mir ansehe, wohin die Arbeitsvermittlung Sie gesteckt hat ...
Kris faßt mit einer Handbewegung ihr Büro zusammen.
– ... dann denke ich, daß Sie etwas
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