Sorry
machen. Tamara ist Panik.
– Alles okay bei dir? fragt Kris.
Tamara nickt, als würde sie verstehen, was er sagt.
Sie fahren über die Autobahn in Richtung Norden und verlassen den Berliner Ring. Nach zehn Minuten nehmen sie die erstbeste Ausfahrt und biegen von dort aus auf einen Waldweg. Wolf schaltet die Scheinwerfer aus und fährt im Schrittempo weiter. Tamara läßt das Fenster herunter. Das entfernte Summen der Autobahn erfüllt den Wagen. Wolf hält auf einer Lichtung. Der Motor tickt nach. Sie haben Kris’ Wagen in Kreuzberg gelassen und wollen ihn auf dem Rückweg holen. Sie glauben, alles durchgeplant zu haben. Zehn Minuten vergehen. Tamara weiß, daß einer das Zeichen geben muß, sonst wird nichts geschehen.
– Gut, dann wollen wir mal, sagt Kris.
Sie steigen aus und gehen zum Kofferraum. Sie starren auf den Schlafsack.
– Ich will das nicht, sagt Tamara.
– Wer will das schon? stellt Kris müde fest und zieht einen der Spaten heraus. Er entfernt sich einige Meter vom Auto und beginnt zu graben. Wolf reicht Tamara die Taschenlampe.
– Was soll ich damit?
– Jemand muß uns leuchten, sagt Wolf und nimmt sich einen der Spaten. Oder willst du das auch nicht?
KRIS
Sie sind dabei, das Grab auszuheben, als Wolf plötzlich feststellt, daß es nicht richtig ist. Kris und er arbeiten Rücken an Rücken, die Erde ist satt und schwer, sie schwitzen, wie sie noch nie geschwitzt haben.
– Es ist nicht richtig.
Für einen Moment glaubt Kris, Wolf hätte mit Tamara gesprochen, die am Grubenrand hockt und ihnen mit der Taschenlampe leuchtet. Dann hört Wolf mit dem Graben auf. Kris dreht sich um und sieht Wolfs Gesicht aufleuchten. Dreck klebt auf seiner verschwitzten Haut, und für Sekunden glaubt Kris, die Furcht in den Pupillen seines Bruders zu erkennen. Wolf hebt die freie Hand, um den Lichtstrahl abzuwehren, und bittet Tamara, die Taschenlampe zu senken. Tamara richtet das Licht auf die Grube. Wolf starrt den Spatengriff an und wiederholt, daß es nicht richtig ist.
Ein Teil von Kris weiß ganz genau, was er meint, ein anderer Teil will nichts davon wissen, denn dafür ist es jetzt eindeutig zu spät. Seit über einer Stunde graben sie in der verdammten Erde und sind schon bis zum Hals in der Grube verschwunden. Kris hat darauf bestanden, daß sie das Grab mindestens zwei Meter tief ausheben, weil sonst Tiere den Geruch wittern und die Leiche ausgraben könnten.
Da hört man nicht einfach so mittendrin auf , denkt Kris und sagt: – Jetzt ist es wirklich ein wenig zu spät dafür.
– Sie liegt ja noch nicht unter der Erde, stellt Wolf fest.
Kris hat große Lust, seinem kleinen Bruder eine zu scheuern. Wolf spürt das und spricht schnell weiter:
– Wir haben doch keine Ahnung, wer diese Frau ist und warum sie sterben mußte. Und wenn ihr ganz ehrlich seid, dann haben wir auch keine Ahnung, was wir hier tun. Wenn wir sie jetzt begraben, dann ...
Seine Hände bewegen sich ratlos durch die Luft.
– ... dann verschwindet sie einfach, und das ist nicht richtig.
– Für mich ist das okay, sagt Tamara. Ich will Jenni nicht in Gefahr bringen.
– Und was ist mit dir? fragt Wolf seinen Bruder.
Kris verspürt keine moralische Regung. Eine Frau ist gestorben, keiner von ihnen hat sie gekannt, keiner von ihnen hat ihren Tod verschuldet. Er glaubt nicht, daß die Frau gestorben ist, weil sie die Agentur gegründet haben, das ist albern. Dieses Grab hier im Wald ist die Lösung für ein Problem, das ihnen ihr ganzes Leben versauen könnte. Sobald die Leiche verschwunden ist, wird auch dieses Problem aus ihrem Leben verschwinden. So hofft Kris zumindest.
– Wir sollten das nicht tun, sagt Wolf und sieht zum Wagen, als könnte die Leiche jedes Wort hören. Es ist unethisch.
Kris tritt nahe an ihn heran.
– Wolf, dieser Killer hat Vater fotografiert.
– Ich weiß.
– Er hat auch ein Foto von Jenni gemacht. Er war in ihrer Nähe, verstehst du? Und dann haben wir noch Fraukes Mutter. Er droht uns, gibt dir das nicht zu denken?
– Doch, aber - - -
– Wolf, was wir auch tun, die Frau bleibt tot, und wir sind noch am Leben. Wir sind es, die bedroht werden. Wenn wir nicht tun, was er uns sagt, bringen wir andere Menschen in Gefahr. So simpel sehen die Tatsachen aus. Wir reagieren nur.
– Genau das ist es ja, sagt Wolf. Ich glaube, wir reagieren falsch.
– Und wie sollten wir deiner Meinung nach reagieren?
Wolf sticht mit dem Spaten zweimal in die Erde.
– Nicht so.
Nicht so ist
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