Sorry
Preis. Auch wenn Bernd Jost-Degen wahrscheinlich noch nie körperliche Gewalt angetan wurde, konnte er einen Schlag kommen sehen, wenn eine Faust geballt wurde.
Die Knöchel an Kris’ Fäusten traten weiß hervor.
Bernd Jost-Degen brauchte acht Minuten.
Danach war bei Kris die Luft raus. Er setzte sich am Savignyplatz in ein Café und starrte durch die Frontscheibe auf die Straße. In seiner Hosentasche befand sich die Adresse von Lars Meybach. Es war Dienstag mittag, am Donnerstag morgen sollte Frauke beerdigt werden, und Kris wußte nicht, wie sein nächster Schritt aussah. Für eine Weile zog er in Betracht, mit Gerald zu reden. Er verwarf den Gedanken aber, weil er nicht glaubte, daß Gerald auf die Tatsache anspringen würde, daß Meybach kurz vor Fraukes Tod mit ihrtelefoniert hatte. Was sagte das? Es gab keine handfesten Beweise, es gab nur ihre Aussagen und dann natürlich die Leiche, aber selbst die war verschwunden. Gerald würde ihn auslachen.
In den folgenden zwei Stunden telefonierte Kris ein einziges Mal und wartete. Er aß drei Brownies, und zu jedem Brownie gab es einen Milchkaffee. Danach war er überzuckert, und sein Magen rumorte. Um fünf Minuten vor drei setzte er sich in seinen Wagen und fuhr zum Nollendorfplatz.
Sein Name ist Marco M. Er nannte sich schon während ihrer Schulzeit Marco M und korrigierte die Lehrer, wenn sie nur Marco sagten. Marco M gehörte zu der Gruppe von Computerfreaks, die damals für Bytes und Graphikkarten alles taten: Einbrüche, Ladendiebstähle, nichts Handgreifliches, sondern eher der einfache Weg, um schnell an Bares zu kommen. Sein Stil hat sich seitdem verändert, er bricht nirgendwo mehr ein, seine Finger bleiben sauber, heute erledigen das andere für ihn.
Als Kris dabei war, sein Studium zu beenden, ging Marco M eine Weile lang bei ihm ein und aus. Kris ließ sich von Marco M mit Gras und Aufputschmitteln versorgen, sie verbrachten so manchen Abend zugedröhnt vor dem Fernseher. Nach dem Studium verloren sie einander aus den Augen, weil Marco M auf die Idee kam, im falschen Viertel seinen Stoff zu verkaufen. Er wurde verpfiffen, landete für zwei Jahre im Gefängnis und tauchte eine Woche nach seiner Entlassung bei Kris auf. Er zeigte ihm eine Narbe an seinem Hals, präsentierte ein selbstgemachtes Tattoo am Fußgelenk und fragte, ob Kris wüßte, wer zurzeit in seiner alten Gegend Drogen verkaufte. Kris sagte ihm, was er wußte. Marco M nahm sich des Problems an. Seitdem gehört ihm wieder die Gegend um den Nollendorfplatz, und genau dort hatte Kris sich mit ihm verabredet.
Marco M erinnert an einen von diesen Hunden, die an jeder Ecke ihr Bein heben müssen, ohne einen Urinstrahl zustande zu bringen. Wenn man ihn sieht, denkt man nicht unweigerlich an einen Pitbull oder Boxer. Marco M verfügt über die Eleganz und Wachsamkeit eines Windhundes. Auch wenn es schwer ist, sich einen Windhund mit Goldkette und Trainingsanzug vorzustellen. Marco M streicht jeden Tag um die gleiche Zeit durch sein Territorium.Er nennt es Kontrolle. Er will wissen, was los ist, und er will, daß man ihn sieht.
An diesem Tag saß Marco M auf einem Barhocker vor dem Comicladen. Er hatte ein Glas Cola vor sich stehen und ließ zwei Qigong-Kugeln in der rechten Hand rotieren.
– Neues Hobby? fragte Kris und blieb neben ihm stehen.
– Es hilft mir, zu entspannen. Schon mal probiert?
Marco M reichte Kris die Kugeln. Sie waren warm. Kris ließ sie rotieren, es fühlte sich gut an.
– Nicht schlecht.
– Gibt Muckis, sagte Marco M und öffnete ein samtgefüttertes Kästchen. Kris legte die Kugeln hinein. Als Marco M aufstand, ließ er das Kästchen auf dem Barhocker liegen.
– Was Marco M gehört, das wird nicht gestohlen, sagte er und legte Kris einen Arm um die Schultern.
– Laß uns eine Runde spazierengehen.
Sie liefen die Motzstraße runter und drehten eine Runde um den Winterfeldplatz. Kris lud Marco M zu Falafeln ein, und sie saßen auf der Parkbank vor dem Imbiß und beobachteten die Rollerskater. Sie sprachen über die Gegend und darüber, wie Schöneberg sich verändert habe, seit Kris im Herbst weggezogen war. Sie sprachen nicht über Frauke. Kris wollte nicht, daß Marco M ihm sein Beileid aussprach. Er versuchte, sowenig wie möglich an Frauke zu denken, was natürlich albern war, denn er saß wegen Frauke am Winterfeldplatz. Nach zehn Minuten klingelte Marco Ms Handy.
– Normalerweise lasse ich mich ja nicht beim Essen stören, sagte er
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