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Sorry

Titel: Sorry Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zoran Drvenkar
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fragen?
    – Ich meine nur, wenn du mich anzeigst, dann ...
    Butch verstummte. Er beugte sich vor, als hätte er Magenschmerzen. Sundance hatte das Bedürfnis, ihm die Hand auf die Schulter zu legen und Butch zu beruhigen, wehrte sich gleichzeitig aber dagegen. Er wollte auf keinen Fall weich und nachgiebig sein. Er wollte nicht verzeihen. Noch war er nicht bereit dafür.
    Das hier muß geklärt werden , dachte er, das hier wird nicht einfach entschuldigt.
    – Du holst dir dabei einen runter, stellte er fest.
    Butch blickte auf, das Gesicht bleich, Schweißperlen auf der Stirn, die Lippen beinahe blutleer.
    – Natürlich hole ich mir einen runter, es erregt mich.
    – Und was ist mit dem Blut?
    Nachdem Sundance in die DVDs reingeschaut hatte, hob er die Taschentücher vom Boden auf und erwartete, daß sie spermaverklebt waren. Da war mehr als nur Sperma.
    – Was ist mit dem Blut? bohrte Sundance nach.
    Butch stand auf, Sundance sah, daß seine Knie zitterten. Butch zog die Jeans herunter. Auf der Innenseite seiner Oberschenkel waren Schnitte zu sehen. Zwei der Wunden waren frisch.
    – Es gehört dazu, sagte er und stand da, erbärmlich und mit heruntergelassener Hose. Es gehört nun mal dazu.
     
    Du fragst dich immer wieder, ob es zu dem Zeitpunkt nicht eine Chance gegeben hätte, den Verlauf zu ändern. Als Kind hast du oft versucht, draußen im Garten den Regen in eine bestimmte Richtung fließen zu lassen. Du konntest noch so viele Gräben ausheben und die Regenströme umlenken, sobald du für eine Minute unaufmerksam warst, suchte sich der Regen wieder seinen eigenen Weg. Du weißt nicht, was gewesen wäre, wenn Sundance an dem Tag härter durchgegriffen hätte. Was, wenn er Butch angezeigt hätte? Wäre alles anders gekommen? Sundance wußte, was Butch durchgemacht hatte. Er wäre ein Unmensch gewesen, wenn er für Butchs Situation kein Verständnis gehabt hätte. Er konnte ihn nicht anzeigen. Also versuchte er, die Kontrolle zu übernehmen.
    Und so begann die Zeit des Vertrauens, die Zeit der Therapie, die Zeit der Reinigung. Sundance kämpfte um seinen besten Freund, er wollte ihn kein zweites Mal verlieren. Als sie noch Kinder waren, hatte er ihn vor Fanni und Karl nicht beschützen können, da war es zumindest gerecht, wenn er jetzt versuchte, Butch vor sich selber zu schützen. Sie einigten sich darauf, daß es eine Krankheit war. Sundance begann, Bücher über das Thema zu lesen, er wollte die Psyche seines Freundes verstehen.
    Das neue Jahr begann, und es sah gut aus. Der Frühling wurde zum Sommer, und es sah gut aus. Sie nahmen sich Urlaub und fuhren für fünf Wochen nach Schweden, um eine alte Schulfreundin zu besuchen. Butch war ausgelassen, er hatte von seinem Therapeuten Antidepressiva verschrieben bekommen, seine Unruhe ließ nach, er schien zufrieden mit sich zu sein. Und dann kam der Herbst, und der Herbst war wie ein Schatten, der alle Lichter löschte. Dunkelheit pur.
     
    Fichtner parkt den Wagen vor dem Mietshaus. Er bleibt einen Moment lang sitzen, die Hände auf dem Lenkrad und den Blick nach vorne gerichtet, als gebe es dort etwas zu sehen.
    – Ich weiß nicht, ob ich da hochgehen kann, sagt er. Es ist so lange her.
    Du willst sicher wissen, was für ein Gesicht du gemacht hast, als er dir auf der Fahrt erzählt hat, daß er den Schlüssel nicht wegwerfen konnte und ob du die Wohnung noch einmal sehen wolltest. Dein Gesicht war in dem Moment offen wie ein Buch, und es war ganz gut, daß Fichtner sich aufs Fahren konzentrieren mußte. Als du ihn gefragt hast, wer für die Wohnung bezahlt, sagte er, daß er es nicht wüßte. Du weißt, daß er gelogen hat. Du hast es nachgeprüft. Die Miete wird jeden Monat von Fichtners Konto abgebucht.
    – Ich würde die Wohnung gerne wiedersehen, hast du gesagt und nach einer Pause hinzugefügt: Um die Geister zu vertreiben.
    Du hast erwartet, daß Fichtner fragen würde, welche Geister du meinst, aber er hat nichts gesagt, und ihr parkt vor dem Mietshaus, und Fichtner starrt weiter vor sich hin, also gibst du dir einen Ruck und steigst als erster aus.
    Nichts an Fichtner erinnert an den Mann, der vor einer halbenStunde das Restaurant betreten und dich abschätzend angesehen hat. Du willst nicht sagen, daß er gebrochen wirkt. Er erinnert dich eher an einen dieser Rentner, die im Supermarkt viel zu lange vor den Regalen stehenbleiben.
    Ihr geht in das Haus.
    Der Hinterhof, die Treppen, die Tür, der Schlüssel, das Schloß.
    Fichtner tritt ein und

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