SOS - die Erde erkaltet
erklärte, daß der Schacht in den innersten Kern der Erde hinunterreiche. »Es war eine große Leistung. Das und andere ähnliche Einrichtungen in diesen überdachten Städten erhielten die Erde Jahrhunderte länger bewohnbar, als es sonst der Fall gewesen wäre. Aber jetzt ist im Herzen der Erde keine Hitze mehr vorhanden, die man anzapfen kann.« Er seufzte. »Das ist das tragische Schicksal aller Planeten, das sie früher oder später ereilt. Sogar nachdem die Wärme ihrer Sonne geschwunden ist, können sie leben, solange ihre innere Hitze sie warmhält. Wenn aber die Eigenwärme eines Planeten erlischt, müssen ihn seine Bewohner verlassen.«
Lal’lor sprach mit seiner kehligen, heiseren Stimme: »Aber Jon Amol behauptet, wie Sie wissen, daß ein toter, kalter Planet wieder belebt werden kann. Und seine Berechnungen sind unanfechtbar.«
Dabei wiederholte der gewichtige, graue Bewohner der Mira – denn von diesem Stern stammte er, wie Kenniston erfahren hatte – eine Reihe von Gleichungen, die einen schwindeln machte und denen Kenniston nicht einmal andeutungsweise folgen konnte. Piers Eglin sah aus irgendeinem Grunde aus, als ob er sich unbehaglich fühle. Er schien Lal’lors Blick zu meiden, als er hastig erwiderte: »Jon Arno! ist ein Schwärmer, ein fanatischer Theoretiker. Sie wissen doch, was geschah, als er einen Probeversuch durchführte?«
Sobald Kenniston sich in der neuen Sprache verständlich machen konnte, erachtete Piers Eglin seine Pflicht für erfüllt und reiste nach Middletown ab; dort wühlte er unter Frieren und Zähneklappern glückselig in den altertümlichen Schätzen, die es in jedem Block im Überfluß gab. Kenniston, jetzt allein mit den Sternenbewohnern, entdeckte, wie er mehr und mehr den Unterschied von Zeit und Abstammung vergaß, während er mit ihnen gemeinsam daran arbeitete, die lebenswichtigen Einrichtungen der Stadt wieder in Gang zu bringen. Sie hatten die Wasserleitung Neu-Middletowns wieder in vollem Betrieb, und der Luxus, einen der seltsamen Hähne zu öffnen und zu sehen, wie Wasser in endlosen Mengen herausströmte, war eine wunderbare Sache. Viele der großen Atomgeneratoren liefen jetzt, einschließlich eines gewaltigen, behelfsmäßigen Heizungssystems, das die Luft innerhalb des Domes um einige Grade erwärmte. An dem größten und letzten Wunder von allen hatten Gorr Holl und Magro schwer gearbeitet. Die Nacht kam heran, als der große Kapellanier Kenniston in einen der Hauptgeneratorenräume rief. Magro und eine Anzahl Arbeitsleute waren dort versammelt. Gorr Holl wies auf ein Fenster. »Stellen Sie sich dort hinüber«, sagte er zu Kenniston, »und geben Sie acht!«
Kenniston blickte hinaus über die dunkle Stadt. Der Mond schien nicht, und die Türme waren in Schatten gehüllt; in den dunklen Schluchten der Straßen unten zeigten sich hier und da wie glitzernde Punkte die schwachen Lichter von Kerzen und der paar elektrischen Birnen, die um das Rathaus brannten. Gorr Holl durchmaß mit großen Schritten den Raum und trat an ein riesiges Schaltbrett, das die halbe Höhe der Wand einnahm. Er brummte. Es gab einen Knacks, irgend etwas schnappte ein, als der Hauptschalter geschlossen wurde, und plötzlich ergoß sich über die nächtliche Stadt unter dem Dom eine strahlende Lichtflut. Der Schatten über den Turmbauten hellte sich auf und wandelte sich in ein Leuchten, das sich schimmernd emporschwang. Die Straßen wurden zu Strömen weißen, glänzenden Lichts, das mild und klar war. Über all dem stand ein neuer Nachthimmel – die wundervoll leuchtende Kuppel des Doms – gleich einer riesigen Glocke aus Mondstrahlen und bunten Wolken gewoben, und sie krönte die schimmernden Türme mit ihrer eigenen, funkelnden Pracht.
Das war so fremdartig und schön nach der langen Dunkelheit und den Schatten, daß Kenniston reglos verharrte und auf das Lichtwunder hinausblickte. Erst später merkte er, daß in seinen Augen Tränen standen. Die schlafende Stadt erwachte. In die strahlend hellen Straßen strömten die Menschen hinaus, der Klang ihrer Stimmen schwoll an und wurde zu einem einzigen, langen Freudenschrei. Kenniston wandte sich zu Gorr Holl, zu Magro und den anderen. Er wollte etwas sagen, aber er konnte keine Worte finden. Schließlich lachte er, und sie lachten mit ihm, und gemeinsam eilten sie auf die Straßen hinaus. Fast unmittelbar darauf kam ihnen Bürgermeister Garris entgegen, er war den ganzen Weg vom Rathaus her gelaufen. Hubble begleitete ihn,
Weitere Kostenlose Bücher