SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
zwischen körperlichem Schmerzempfinden und den Reaktionen in der Symbiose tatsächlich ist, führte mir eine Erzieherin vor Augen, als sie mir vom Vater eines Kindes berichtete, das sowohl daheim als auch im Kindergarten keinerlei Grenze zu kennen schien. Auf die Möglichkeit angesprochen, seiner Tochter auch mal etwas zu verbieten und nicht einfach immer alles nach ihrem Willen laufen zu lassen, antwortete der Vater mit den Worten: »Ich weiß, ich müsste mich manchmal anders verhalten. Aber das tut mir doch auch weh!«
Diese Äußerung des Vaters gibt das Problem der Symbiose überdeutlich wieder: Obwohl er sich eigentlich angemessen verhalten möchte, fühlt sich das für ihn nicht angemessen an. Das ist eine sehr schwierige Situation für Eltern, die selbstverständlich für ihre Kinder das Beste wollen.
Den Kindern mangelt es also an einer positiven emotionalen und sozialen Entwicklung, das zeigt sich aus dem bisher Gesagten ganz deutlich. Doch was können Eltern und Pädagogen tun, um das Grundproblem zu lösen, oder besser noch: Was können sie tun, damit das Problem gar nicht erst entsteht?
Eltern sollten drei Grundhaltungen verinnerlichen, wenn sie ihren Kindern eine optimale Entwicklung gewährleisten wollen. Diese drei Haltungen lassen sich in Kurzform so beschreiben:
1.Ruhe bewahren und Druck aus Stresssituationen nehmen
2.Immer gleiche Abläufe im Alltag schaffen
3.Bei allen täglichen Routinen anleiten, begleiten und klare Reihenfolgen bilden
Denn eines muss man sich klarmachen: Wenn Eltern ihrem Kind eine positive emotionale und soziale Entwicklung ermöglichen wollen, dann ist es unerlässlich, dass sie sich nicht oder nicht mehr in einer Beziehungsstörung befinden, also nicht mehr in einer Symbiose, nicht mehr im Hamsterrad. Sie müssen in sich ruhen und das Kind als Kind sehen. Dann stehen sie nicht mehr unter Druck, es kommen automatisch Zeit und Ruhe in die Abläufe, und die Eltern haben die Gelassenheit, die im Verhältnis zum Kind so wichtig ist. All diese Zusammenhänge habe ich in meinem letzten Buch Lasst Kinder wieder Kinder sein erklärt und Handlungsstrategien, wie etwa den Waldspaziergang ohne Ablenkung und konkretes Ziel, aufgezeigt.
In der Symbiose gibt es diese Gelassenheit jedoch nicht, der Erwachsene kann nicht ruhig sein. Damit Eltern zu einem anderen Verhältnis zu ihrem Kind kommen, ist es also wichtig, den Druck auf beiden Ebenen wegzunehmen: den Druck, den der Erwachsene selbst spürt, und den Druck, den er an das Kind weitergibt. Wenn Zeit und Ruhe in die Abläufe kommen, ist bereits ein wichtiger Schritt getan.
Darüber hinaus ist es von großer Bedeutung, dass Erwachsene immer gleiche Abläufe im Alltag schaffen. Je kleiner das Kind ist, desto entscheidender ist diese Maßnahme, denn sie gibt dem Kind Halt und Sicherheit. Ein Beispiel aus dem Alltag soll verdeutlichen, was ich meine: Wenn der Vater oder die Mutter das Kind zu Fuß zum Kindergarten bringen, gibt ihm das Gelegenheit, immer wiederkehrende Abläufe zu erleben und sich einzuprägen. Ein kleines Kind erkennt dabei keine Straße, sondern kleine Dinge wie etwa »das Mäuerchen«, »den Hauseingang«, »das Törchen«. Jeden Tag wird es untersuchen, ob alles noch so funktioniert wie am Tag zuvor. Wenn es tatsächlich so ist, kommt das Kind zur Ruhe und kann weitere Dinge wahrnehmen.
Gleiche Abläufe oder auch Rituale geben dem Kind also Halt und Sicherheit. Umgekehrt gilt: Je wechselhafter die täglichen Abläufe sind, desto weniger kann das Kind aufnehmen und verarbeiten. Das bezieht sich übrigens nicht nur auf Abläufe, sondern auch auf Reaktionen anderer Menschen. Je kleiner das Kind, desto vertrauter müssen daher die Bezugspersonen sein. Je häufiger sie wechseln, desto weniger Halt und Orientierung empfindet das Kind, und desto weniger Entwicklung macht seine Psyche durch. Darum ist es so wichtig, dass Kinder beispielsweise im Kindergarten immer dieselbe Gruppe, den gleichen Inhalt, dieselben Bezugspersonen und die gleichen Abläufe erleben dürfen.
Für zu Hause heißt das idealerweise: zu gleichen Zeiten essen, vorher Hände waschen, am Tisch warten, bis alle da sind, vielleicht sogar ein gemeinsamer Spruch oder andere Rituale. Ein weiteres Beispiel für heimische Abläufe dieser Art wäre: Abends erst essen, dann aufräumen, dann ausziehen, dann waschen, ins Bett gehen, vorlesen und schlafen. Es geht dabei nicht um Erziehung, sondern darum, Halt zu geben.
Der dritte und letzte Punkt
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