SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
schließlich ist der wichtigste: anleiten, begleiten und Reihenfolgen bilden. Diese Faktoren bilden einen entscheidenden Antrieb für die Entwicklung der emotionalen Psyche, sie gehören überallhin, wo Kinder sind. Eltern sollten dabei liebevoll vorgehen, indem sie dem Kind deutlich machen: »Jetzt tust du das, jetzt das, jetzt das.« Dabei geht es auf keinen Fall darum, Kindern stur etwas beizubringen, sondern darum, dass sich durch das Anleiten, Begleiten und Bilden von Reihenfolgen die Psyche der Kinder entwickelt und bildet.
Bei kleinen Kindern gilt das fürs Anziehen, aber auch beim Aufräumen, Waschen und anderen alltäglichen Dingen. Bei Grundschülern sind es die Abläufe im Schulunterricht. Auch hier sollten die Lehrer die Reihenfolge vorgeben, zum Beispiel so: »Jetzt holt ihr alle das Deutschbuch raus, schlagt Seite zehn auf, dann übertragt ihr die Überschrift von der Tafel ins Heft, nehmt euer Lineal heraus, und zieht eine Linie unter die Überschrift.«
Ähnliches gilt für die Hausaufgaben. Bei Erstklässlern ist es wichtig, dass Vater oder Mutter noch daneben sitzen und den Kindern dabei helfen, die Aufgaben in einer sinnvollen Reihenfolge zu erledigen. Bei älteren Kindern kommen die Eltern zumindest immer wieder dazu. Dabei geht es, ich kann es nicht oft genug betonen, nicht um ein reines Anerziehen von Arbeitshaltung und auch nicht um ein Lernergebnis.
Die oben genannten drei Grundregeln sind zentrale Punkte, wenn wir darüber reden, was zu tun ist, damit sich die emotionale und soziale Psyche bei Kindern bilden kann. Dafür ist es unerlässlich, dass Anleiten und Begleiten wichtige Bestandteile der Erziehung sind. Bei den derzeit favorisierten offenen Konzepten in Kindergarten und Grundschule herrscht die Vorstellung, das Kind solle sich frei entscheiden und lernen. In solchen Konzepten können Erzieher und Lehrer diese wichtigste Leistung zur Entwicklung der emotionalen und sozialen Psyche jedoch nicht erbringen. Das Kind ist auf sich gestellt.
Kritiker interpretieren meine Forderung nach Anleitung und Begleitung gern als Bevormundung oder als Infantilisierung, also ein Kleinhalten des Kindes. Tatsächlich jedoch ist es so, dass Eltern normalerweise intuitiv einen Blick für die Notwendigkeit der Begleitung haben. Ab einem bestimmten Alter zieht der Vater oder die Mutter das Kind nicht mehr an, beide helfen aber noch eine Zeit lang bei schwierigen Aktionen, wie etwa beim Anziehen der Strümpfe oder dem Binden der Schnürsenkel. Sobald das Kind sich perfekt selbst anziehen kann, werden die Eltern es an diesem Punkt nicht mehr begleiten, sondern den Schwerpunkt auf andere Dinge legen, also etwa auf das Erledigen der Hausaufgaben, auf das Aufräumen oder anderes.
Wenn Eltern ihrem Kind also die Sicherheit und den Halt verleihen, den es braucht, hilft das dem Kind nicht nur, eine altersgemäße psychische Entwicklung zu nehmen. Diese Kinder sind außerdem zunehmend entspannter. Womit ich an einem weiteren wichtigen Punkt angelangt wäre: Ich habe noch nie so viele angespannte, da überforderte Kinder erlebt wie heute. Von Rückenverspannungen über Kopfschmerzen bis zu Schlafstörungen und Tics beobachte ich in meiner Praxis alle möglichen, eigentlich kinderuntypischen Phänomene.
Wenn sich also die Kinder entspannen, entspannt sich auch das Verhältnis zum Kind, die Beziehung wird positiv. Eltern macht es nun beispielsweise wieder mehr Spaß, etwas mit dem Kind gemeinsam zu unternehmen. Das Kind fühlt sich gehalten und sicher, es macht nach Aufforderung gern etwas für den Erwachsenen, und daran wächst wiederum die Beziehung. Und für Lehrer gilt: Sie können endlich wieder einen ganz anderen Unterricht machen, der allen Beteiligten Spaß macht.
Diese spürbare Entspannung ist bei mir in der Praxis ein Phänomen, das ich oft schon nach drei Monaten bei Kindern und Eltern erlebe. Ich kann quasi zusehen, wie sich die Psyche entwickelt, die Kinder also immer mehr wahrnehmen und sich somit ganz anders verhalten.
Anleitung, Begleitung und das Bilden von Reihenfolgen sind nicht nur im frühen Kindesalter enorm wichtig für die Bildung der Psyche, auch schulreife und lernwillige Kinder benötigen noch diese Strukturierung, gerade heute besonders, weil immer mehr Kinder diesen Reifegrad nicht mehr haben, wenn sie in die Schule kommen. Sie brauchen diese Vorgehensweisen verstärkt, damit sie überhaupt schulreif werden.
Die Kinder werden dann lernwillig und wissbegierig, bleiben aber weiterhin
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