SOS Kinderseele: Was die emotionale und soziale Entwicklung unserer Kinder gefährdet - - und was wir dagegen tun können (German Edition)
Unter den betroffenen Arbeitnehmern waren viele Frauen, die in den Läden der Kette als Kassiererin oder an anderer Stelle ihr Auskommen gefunden hatten.
Die Ministerin präsentierte nun eine Idee, mit der sie offensichtlich in geradezu genialer Art und Weise zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen wollte: Die arbeitslos gewordenen Frauen könnten doch als Erzieherinnen in Kindergärten arbeiten! Notwendig sei dazu lediglich eine Umschulung mit einer Dauer weniger Monate. Danach seien zum einen diese Frauen wieder in Lohn und Brot, und zum anderen sei damit das Problem des Personalmangels in Kindergärten gelöst oder zumindest abgemildert.
Was ist das für eine absurde Idee! Die Frage, die sich daraus ableiten lässt, lautet: Was sind uns unsere Kinder eigentlich noch wert? Sind sie nur noch Gegenstand politischer Schnellschüsse? Oder Spielball einander ständig widersprechender pädagogischer Theorien? Und wie verzweifelt muss die Politik sein, dass sie allen Ernstes einen solchen Vorschlag in die öffentliche Diskussion einbringt?
Wenn wir über Vorschläge wie den oben genannten auch nur länger als den Bruchteil einer Sekunde nachdenken, betrügen wir unsere Kinder um ihre Zukunft und die Generationen danach gleich mit. Wir sollten uns deshalb sehr genau vor Augen führen, was geschieht, wenn wir weitermachen wie bisher, wenn wir also zulassen, dass in unserer Gesellschaft immer mehr Kinder und Jugendliche heranwachsen, die emotional und sozial nie die Chance haben werden, den psychischen Entwicklungsstand eines Erwachsenen zu erreichen. Eine solche Gesellschaft wird für die meisten Menschen nur noch eine Belastung darstellen und kaum Sinn bieten.
Die Idee, Kassiererinnen einfach zu Erzieherinnen umzuschulen, zeigt zum einen, wie kurzsichtig das Handeln in Bezug auf Kinder heute geworden ist. Zum anderen zeigt es aber auch, wie wenig Wertschätzung pädagogische Arbeit und damit letztlich auch die Kinder selbst in unserer Gesellschaft genießen.
Mit ihrem Vorschlag sagt die Ministerin ja nichts anderes als: »Kinder erziehen kann jeder, dazu braucht man keine umfassende Ausbildung oder Fähigkeiten. Das ist im wahrsten Sinne des Wortes ›Kinderkram‹.« Die Probleme, die mir Erzieherinnen und Lehrer immer wieder schildern und mit denen ich in meiner Praxis tagtäglich konfrontiert bin, bestätigen mir indes das Gegenteil.
Ein Blick nach Frankreich zeigt, wie es anders laufen kann. Dort gibt es eine lange Tradition ganztägiger Förderung von Kindern außerhalb der Familien. Darum ist es selbstverständlich, dass Frühförderung eine entscheidende und wichtige Aufgabe ist und einer umfangreichen und tiefgehenden Ausbildung bedarf. Die dortigen Pädagogen haben ein Studium absolviert, sind hoch anerkannt und werden gut bezahlt.
Eine Konsequenz dieser Frühförderung durch spezialisierte Pädagogen ist, dass die von mir beschriebenen Probleme bei französischen Kindern derzeit noch nicht in dem Maße zu beobachten sind wie hierzulande. Geht man beispielsweise in Frankreich in ein Restaurant, in dem eine Familie mit mehreren Kindern sitzt und isst, so merkt man häufig davon gar nichts. Das liegt aber eben nicht daran, dass diese Kinder besonders streng erzogen wären. Nein, sie sind ihrem Alter gemäß entwickelt und nehmen wahr, dass sie im Restaurant andere stören würden, wenn sie herumschreien oder durch die Gegend laufen.
Was mich an Ursula von der Leyens Vorschlag so verärgert, ist aber nicht nur die Annahme, Erzieher bräuchten keine besondere Ausbildung. Er formuliert ja nicht zuletzt auch eine Idee, wie man in Zeiten leerer Haushaltskassen sparen kann. Was dabei mangels langfristiger Denkweise überhaupt nicht gesehen wird, ist die Tatsache, dass wir morgen und übermorgen die gesparten Summen in vielfacher Höhe werden investieren müssen, um zum einen die Kinder, die unter dieser Entwicklung zu leiden haben, mühsam zu fördern und zum anderen diejenigen, die mit dieser Förderung gar nicht mehr zu erreichen sind, in der sozialen Hängematte aufzufangen. Darüber hinaus geht es nicht nur um Geld, sondern wir haben im Augenblick ein Problem mit dem hohen Bedarf an Personal durch Ganztagsangebote und dem Recht auf einen Krippenplatz bei gleichzeitig viel zu wenigen ausgebildeten Fachkräften.
Es ist eigentlich nicht schön, so zu argumentieren, weil die finanzielle Frage im Bezug auf Kinder nicht im Vordergrund der Betrachtung stehen sollte. Aber da sich heute, gerade in der Politik, alles
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