Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
wir einfach so, als hätte ich gar nichts gesagt.«
Ein solcher Rückzieher sieht Cara gar nicht ähnlich. »Bin ich so schlimm?«
Sie bemüht sich zu lächeln. »Ich kenne ja keine anderen Leute mit ermordeten Schwestern, also fehlt mir der Vergleich, und außerdem wäre ich ’ne ziemlich beschissene Freundin, wenn ich die beleidigte Leberwurst spielen würde, bloß weil du ein bisschen rumzickst. Aber ich vermisse die alte Alice. Die Alice, mit der ich so schön rumblödeln konnte.«
Ich bemühe mich, das, was sie gesagt hat, anzunehmen. »Ich vermisse die alte Alice auch.«
Sie stellt ihre Cola ab und nimmt mich in die Arme. Normalerweise würde mich das sofort zum Weinen bringen, aber heute ist es noch schlimmer – ich fühle rein gar nichts. Na ja, ich fühle, wie sie mir den Rücken tätschelt, als sei ich ein Baby, das ein Bäuerchen machen soll, aber irgendwie erlebe ich das Ganze aus weiter Ferne, wie jemand, der in einer Galerie ein Gemälde von einem Mädchen betrachtet, das seine trauernde Freundin tröstet.
Schließlich lässt Cara mich wieder los. Und sie hat Tränen in den Augen. »Besser?«
»Ja«, lüge ich.
»Irgendwann wird es leichter. Wir sind noch so jung, Alice. Es kann ja nicht ewig so bleiben. Eines Tages passiert irgendwas, das so wunderbar ist, dass du alles andere vergisst, und dann weißt du, dass du auf dem Weg der Besserung bist.« Sie lächelt mich an.
Ich bringe es nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass ich auf dieser Welt nichts Wunderbares mehr erwarte. Denn ich habe das Gefühl, dass ich alles, was ich brauche, bereits am Soul Beach gefunden habe.
18
Nach der Schule schleiche ich mich durch die Hintertür ins Haus, in der Hoffnung, im Kühlschrank irgendetwas zu finden, das mich bei meinem nächsten Marsch durch den Sand mit genügend Treibstoff versorgt.
Aber in der Küche liegen schon meine Eltern auf der Lauer. Oh, oh.
Dad hat immer noch seinen Anzug von der Arbeit an und sitzt mit einem Stapel Papiere am Küchentresen. Mums Wangen sind rosig, als käme sie frisch aus dem Fitnessstudio, aber ich weiß, dass sie den Großteil des Nachmittags bei ihrer Gruppe verbracht hat. So ein geistiges Workout kann offenbar wahnsinnig stimulierend sein.
»Hi«, sage ich und gebe mir Mühe, möglichst gehetzt zu klingen. »Ihr glaubt ja gar nicht, wie viele Hausaufgaben ich aufhabe, am besten lege ich gleich –«
»Wir müssen mit dir über Meggie reden«, unterbricht mich Dad.
Ich erstarre.
Wie haben sie es herausgefunden? Ich logge mich jedes Mal, wenn ich das Zimmer verlasse, aus meinem Account aus, auch wenn ich nur kurz aufs Klo muss, und ich habe meinen Schreibtischstuhl so hingestellt, dass der Bildschirm unmöglich zu erkennen ist, wenn man die Tür nur einen Spaltbreit aufmacht und hindurchspäht, wie es meine Mutter oft tut, bevor sie ins Bett geht.
»Aha?«, sage ich nur.
Mum zieht einen Barhocker für mich heran und ich klettere darauf. Hier habe ich nicht mehr gesessen, seit ich neun war und sie mir immer ordentlich Frühstück gemacht hat, mit Toaststreifen und gekochten Eiern. Ich hatte damals eine ziemlich dürre Phase und sie wollte mich liebevoll aufpäppeln. Was leider ein bisschen zu gut geklappt hat, wenn man ehrlich ist.
»Sie haben ihn, endlich«, seufzt Mum.
»Er ist nicht angeklagt worden, Bea. Sie wollen nur –«
Ich frage dazwischen: »Sie haben Tim festgenommen?«
Ich spüre, wie mir alles Blut aus dem Kopf weicht. Zum Glück sitze ich schon, sonst wäre ich vermutlich auf dem Boden zusammengesackt wie eine Marionette mit durchtrennten Fäden.
Meine Eltern nicken, meine Mutter enthusiastischer als mein Vater, auch wenn eigentlich sie die große Menschenrechtlerin bei uns ist: ob sie nun gegen den Krieg protestiert, die außerordentliche Auslieferung von Verdächtigen oder gegen die Regierung von Burma. Und dennoch war sie diejenige, die sofort beschloss, dass Tim schuldig sein musste.
Ich kann es nicht fassen. Es gibt nichts auf der Welt, was ich mir mehr wünsche, als dass Meggies Mörder seiner gerechten Strafe zugeführt wird. Aber das hier ist alles andere als gerecht.
»Fran von der Opferbetreuung hat angerufen«, erklärt Mum.
»Sie sagt aber, wir sollen nicht allzu viel hineininterpretieren«, fügt Dad hastig hinzu.
»Ach, komm schon, Glen. Warum sollte sie sonst anrufen, wenn sie nicht denken, dass sie ihn diesmal festgenagelt haben?«
Es ist nicht das erste Mal, dass Tim befragt wird, aber das haben sie mit jedem gemacht,
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