Soul Beach 1 - Frostiges Paradies (German Edition)
nachdem Meggie tot war: dem Hausmeister, den Barkeepern, ihren Freunden, mit denen sie am meisten rumhing, den Leuten, an denen sie auf den Bildern der Überwachungskameras an jenem letzten Abend vorbeigekommen war. Sie haben sogar Zoe und Sahara verhört, auch nachdem die Zeitungen schon mit hundertprozentiger Sicherheit beschlossen hatten, dass es ein Mann gewesen sein musste.
Aber das hier ist etwas anderes. Es ist das erste Mal, dass er tatsächlich festgenommen wurde.
»Sie hat nur angerufen, um uns zu warnen, falls die Reporter wieder auftauchen. Nicht mehr und nicht weniger.« Dad glaubt genauso wenig wie ich, dass Tim es war, nur dass ihm nicht gleich unterstellt wird, er würde auf ihn stehen.
Mum seufzt. »Ich war online und in meiner Gruppe dort sagen alle, dass es neue forensische Beweise geben muss. Na ja, stör dich nicht an unseren Zankereien, Alice – wie geht es dir denn damit?«
Am liebsten will ich schreien: Er war’s nicht! Aber selbst wenn ich auch nur irgendein Wort herausbekäme, Mum würde sowieso nicht zuhören. Also sage ich nichts.
Sie wirkt ein wenig irritiert. »Tja, du weißt ja, wo du mich findest, wenn du reden willst.«
»Danke.« Alles, was ich will, ist raus aus dieser Küche und ins Internet, zu Meggie, denn das ist mittlerweile der normalste Teil in meinem Leben.
Dad fängt an, seine Papiere einzupacken. »Ich muss dann mal los. Wir haben Teilhabersitzung.«
Mum fährt zu ihm herum, das Gesicht vor Wut verzerrt. »Ich fasse es einfach nicht, wie du überhaupt an Arbeit denken kannst, solange die Polizei Meggies Mörder in Gewahrsam hat.«
»Bea, du weißt genauso gut wie ich, wenn sie Beweise gehabt hätten, dann hätten sie ihn schon am ersten Tag in Haft genommen.«
»Das ist doch unglaublich! Anscheinend ist dir das also alles egal …«
Und wieder habe ich dieses benommene Gefühl, als würde ich über dem Raum schweben und meinen Eltern dabei zusehen, wie sie sich erbittert streiten, so wie sie es nie, niemals getan haben, als Meggie noch am Leben war. Aber ihr Geschrei verhallt und stattdessen höre ich das Flüstern des Meeres, und ich schwöre, ich spüre beinahe die Brise in meinem Gesicht.
Mit wackligen Beinen rutsche ich von dem Barhocker und schlüpfe an meinen Eltern vorbei. Sie kriegen kaum mit, dass ich gehe.
19
Als ich den Laptop einschalte, ist meine Sehnsucht nach der friedlichen Schönheit des Strandes stärker als je zuvor.
Es ist erst zehn Tage her, seit ich dort zum ersten Mal am Wasser entlangspaziert bin, und doch weiß ich schon jetzt nicht mehr, wie ich die Wirklichkeit ohne meinen Zufluchtsort am Soul Beach ertragen soll, ohne das Wunder, wieder die Stimme meiner Schwester zu hören.
Während die Seite lädt, wird mir klar, dass ich nicht weiß, wie ich Meggie von Tim erzählen soll. Soll ich es überhaupt versuchen? Hat sie ein Recht darauf, es zu erfahren, oder wird ihr das nur noch mehr Schmerz zufügen?
Und eigentlich gibt es doch auch noch gar nichts Richtiges zu erzählen. Hier geht es um Tim. Den ersten ihrer Freunde, der mich wie ein menschliches Wesen behandelt hat, anstatt nur wie Meggies nervige kleine Schwester. Er hat sich mit mir über die wichtigen Themen unterhalten: meine Pläne, meine Ziele, meine Ideen.
So verhält sich doch kein Mörder, oder?
Ich denke immer noch darüber nach, ob und wie ich es ihr beibringen soll, als der Strand erscheint – ich keuche auf.
Ich sehe Menschen .
Hunderte von wunderschönen Menschen.
Ich fühle mich wie bei einer Strandparty in einem Musikvideo: Jede Menge Sonnenanbeter sitzen um die Bambushütten oder planschen im türkisen Wasser. So viel also zu meinem ruhigen Zufluchtsort …
Ich bewege mich nicht, ich bin zu sehr damit beschäftigt zu starren. Jeder hier ist jung, genau wie Sam gesagt hat: Teenager und Leute Anfang zwanzig. Und nicht nur jung, sondern auch umwerfend gut aussehend. Es ist ein wahrer Regenbogen an Haar- und Hautfarben und alle tragen lässige, aber ziemlich schicke Klamotten. Die Jungs haben abgeschnittene Jeans oder weite Surfshorts an – Scheußlichkeiten wie hautenge Badehosen sind nirgends in Sicht – und obenrum blütenweiße T-Shirts, karierte Leinenhemden oder einfach gar nichts. Bei den Mädchen wird es bunter, Bikinis in leuchtenden Farben oder gemusterte Sommerkleidchen mit Spaghettiträgern. Sie alle schwimmen oder surfen oder sonnen sich einfach auf Strandtüchern.
Ich sehe einen Jungen mit Akustikgitarre, der einen Indie-Hit aus dem letzten
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