Soul Kitchen
einfach, da die Insel manchmal nur alle zwei Wochen von einer Fähre angesteuert wurde. Abreisewillige Touristen hatten Glück, wenn das Zisternenschiff, das während der heißen Monate häufiger andockte als die Fähren, bereit war, sie gegen ein dickes Bündel Drachmen mitzunehmen. Sonst saßen sie tagelang mit den Männern des Dorfes im Kafenion, störten sich bald nicht mehr daran, dass die Toilette dort zwar immer sauber war, aber statt hinter einer Tür hinter einem Duschvorhang lag.
Sie lernten, wie langsam man einen Mokka trinken konnte und wie schnell den erkalteten letzten Schluck, ohne dass ein Teil des Kaffeesatzes in den Mund gelangte. Sie wurden eifrige Tavlispieler und unterhielten sich dabei mithilfe eines Übersetzerkindes, wie Zinos es war, am liebsten über die heidnischen Götter und die Abenteuer des Odysseus, aßen sich satt an Sardinen, gebratenen Zucchini, Fischrogenmus und Auberginenpüree auf dicken Weißbrotscheiben, den größten Oliven der Welt, deftigem Schafskäse auf tellergroßen Tomaten- und Zwiebelscheiben, dicken Bohnen in allen Farben und Formen mit fruchtiger Tomatensoße, Schmorfleisch, das in einem Meer von gehacktem Knoblauch schwamm, Kichererbsen in buttrigem Reis, Sepia, gefüllt mit Spinat, Bergen von frittierten Kartoffelstücken, Tintenfischmoussaka, und was immer das Tagesangebot hergab. Sie tranken dazu Ouzo mit Eis und Wasser, bis sie selber die Sirenen singen hörten.
Wenn die Fähre nach ein paar Tagen tatsächlich kam, versammelte sich das ganze Dorf am Hafen, um zu winken, aber auch um zu sehen, was das Schiff außer den Heimkehrern, Tieren und Waren an neuen seltsamen Fremden brachte, die es zu überzeugen galt, wiederzukommen. Einige Dorfbewohner hatten Fotos von ihren Häusern dabei und verdienten sich was mit der Vermietung eines Zimmers dazu. Ein Hotel oder eine Pension gab es damals noch nicht. Es kamen immer mehr junge Rucksacktouristen. Sie ließen sich von den Fischern zu den besten einsamen Buchten bringen, die, neben dem Stadtstrand, die einzigen Strände boten. Illias’ Bande kletterte hinterher, selbst bis zu den über Land als unerreichbar geltenden Buchten drangen sie vor, um von ganz oben einen Blick auf die Nackten aus aller Welt werfen zu können.
Neben der Kirche, dem Kafenion und der Taverne gab es noch ein einziges Geschäft, dort bekam man alles, was man nicht bei einem Fischer, Bauern, Gemüse oder Obsthändler bekam – deren Läden ihre Maultiere waren.
In dem Geschäft ragten Waschmittelpakete bis an die Decke, daneben Hygieneartikel, Rasierschaum, Moskitospray, Haargel, Schuhcreme, Telefone, Romanheftchen, einzelne Tabletten gegen Fieber, Kopfweh, Seekrankheit und Durchfall, selbst gemachter Hustensaft, Lotteriescheine, Schokoriegel, deren Verfallsdatum meist überschritten war, und in dem Ständer für Postkarten war nur ein Fach gefüllt mit Karten, die alle das gleiche Motiv hatten: einen Sonnenuntergang. Eine kleine Käse- und Wursttheke war zwischen all die Sachen gequetscht, und in einer Ecke, mit einem Schemel als Tisch, saß die alte Sevastiana vor ihrer Geldkassette auf einem Hocker. Sie öffnete die Kassette nie, denn sie hatte immer ein riesiges gerolltes Bündel Drachmen in ihrer Schürze. Jeder Preis wurde aufgerundet, da niemand außer den Touristen Wert auf Münzen legte.
Etwas abseits des Hafens gab es sogar eine Bank, die auch die Post war. Einmal war ein Geldautomat angebracht worden. Der silberne Kasten hing dort gute zwei Jahre, ohne dass er in Betrieb genommen wurde. Dann montierte man ihn wieder ab, da niemand sich ein Konto einrichten wollte. Auf der Insel war fast jeder sein eigener Chef, und wenn Lohn ausgezahlt wurde, dann bar. Nur die drei Mitarbeiter der Bank, der Post und der Deutsche, der irgendwo auf der Insel als Aussteiger lebte, hatten dort ein Konto. Geldgeschäfte wurden persönlich abgeschlossen, aber auch das Tauschgeschäft war beliebt. Wenige richteten im Lauf der Jahre ein Postsparbuch für ihre Kinder ein. Ab und zu tauschten Touristen in der Bank Geld. Alles lief so reibungslos auf der Insel, dass Andreas, der Postbote, gleichzeitig der einzige Polizist der Insel war.
Einmal fand man die nackte Leiche eines blonden Mannes, nachdem das Meer sie an den Stadtstrand gespült hatte. Er wurde schnell identifiziert: als Tourist von einer benachbarten Partyinsel, der zuletzt besoffen auf einer Beachparty gesichtet worden war. Da stand die Insel sogar in der Zeitung. Wochenlang redete man im
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