Soul Kitchen
ihm auf die Insel gelangen sollte, hatte er schließlich Olli gebeten, sich darum zu kümmern. Der versprach, den perfekten Untermieter zu finden. Die eine Hälfte der Miete sollte Olli per Post nach M. schicken, die andere auf Zinos’ Konto einzahlen.
Gemächlich setzte sich das Schiff in Bewegung. Zinos schmeckte das Salz des Meeres. Langsam wurde es hell und so heiß, dass er nicht schlafen konnte, dabei war es noch lang nicht Mittag. Er trank ein Bier, doch der Alkohol machte ihn wieder wach. Ein Rucksackpärchen aus Nürnberg hatte ihm das Bier geschenkt. Die Rucksacktouristen mit ihren Frisuren, Discmans und Markenrucksäcken – sie sahen anders aus als früher. Einige Mädchen lackierten ihre Fußnägel und zupften sich die Augenbrauen.
Nachdem sie in zahlreichen Häfen angelegt hatten, war Zinos fast alleine auf dem Schiff – und er entdeckte am Horizont die Insel. Sein Herz schlug schneller, und er erinnerte sich, nie so glücklich gewesen zu sein wie in seinen Ferien auf M. Er dachte an Illias und an seine Eltern – wie sie alle zusammen auf dem Schiff gewesen waren und Tante Eleni winkten, die auf der Mauer am Hafen stand und zurückwinkte.
Tante Eleni und Zinos’ Mutter stritten sich damals in jedem Urlaub an jedem Tag. Es ging dabei stets um Geschichten aus ihrer Jugend. Immer, wenn Zinos Vater im Kafenion saß – mehrere Stunden am Tag –, nutzten die beiden Frauen die Zeit, um sich zu streiten. Sie stritten, da sie einander liebten, aber sich nicht leiden konnten. Illias schien den ganzen Sommer über außer Haus zu sein, manchmal sogar während der Essenszeiten. Zinos dagegen hielt sich am liebsten im kühlen Haus auf und vertrieb sich die Zeit damit, den beiden zuzuhören. Dem Streit zu lauschen war eine einzigartige Weise, Geschichten erzählt zu bekommen. Er versteckte sich oft in der Vorratskammer, wo es viel Süßes in Einmachgläsern zu entdecken und vertilgen gab. Zinos horchte – und aß.
Seine Mutter und Tante Eleni hatten in ihrer Jugend oft um Männer konkurriert. Hier auf der Insel waren sie gemeinsam aufgewachsen, oberhalb des Dorfes in einem Haus, das bei einem Waldbrand vollkommen zerstört worden war.
Tante Eleni lebte in einem kleinen Haus oben im Dorf, das sie einst mit ihrem Mann Dimosthenis bewohnt hatte, einem Mann, der nie Geld besaß, aber gut aussah und ein Herz hatte und Verstand. Die beiden Schwestern waren die schönsten Mädchen der Insel gewesen, die allerdings nur knapp tausend Bewohner zählte. Der schönste Mann war Dimosthenis gewesen – und Tante Eleni hatte gewonnen. Zinos’ Mutter sollte ihr das nie verzeihen, obwohl sie Zinos’ Vater, einen stolzen Handwerker mit vollem, glänzendem Haar, aufrichtig liebte.
Dimosthenis war ein Künstler, der einzige, der je auf der Insel geboren wurde. Jeden Winkel der Insel hatte er in surrealem Stil auf seinen selbst aufgezogenen Leinwänden verewigt, ohne je ein einziges Bild zu verkauft zu haben. Geld verdiente er mit Ikonenmalerei. Als er von den Heiligen endgültig genug hatte, bestieg er mit einem riesigen Paket seiner Werke die Fähre nach Athen, um seine Arbeit einem interessierten Galeristen zu zeigen, mit dem er in Briefkontakt stand. Das rostige Schiffchen ging unter. Warum, wurde nie ermittelt. Die Regierung legte keinen Wert darauf. Die Fähre war nie gewartet worden, da sie fast ununterbrochen zwischen den Inseln umherfuhr.
Nur weil Tante Eleni so früh Witwe wurde, besuchte Zinos’ Mutter ihre Schwester weiterhin jeden Sommer, bis es irgendwann so krachte, dass sie nur noch auf die Peleppones zur Familie von Zinos’ Vater reisten. Dort lebten Zinos’ Eltern jetzt, und die arme Tante Eleni war ganz allein. Sie und Dimosthenis hatten keine Kinder bekommen. Gerade als das im Dorf jedem auffìel und das Getuschel unüberhörbar wurde, versank Dimosthenis mitsamt seinen Bildern im Meer. Tante Eleni war Anfang dreißig, als sie Witwe wurde, und sie beschloss, ihre Insel nie zu verlassen. Sie hängte seine drei größten einzig verbliebenen Bilder auf: Auto überfährt Ziegenherde im Gewitter; Auto überfährt Ziegenherde in der Hitze des Mittags; Tintenfisch frisst Fischer mit Boot Nummer 19.
Im Frühling verbrachte Tante Eleni viel Zeit auf den Wiesen hinter dem Dorf, dort, wo Dimosthenis gemalt hatte. Manchmal wanderte sie durch die Berge und brachte ihre eingemachten und kandierten Früchte dem Eremiten, der mit einer Ziege in den Resten eines Hauses lebte. Niemand wusste, woher der Eremit
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