Soul Kitchen
Rocky ein paar rohe Eier in ein Glas, trank’s und musste kotzen. Auf dem Boden vor dem Klo fror er noch mehr; man hatte ihm schon das Gas abgestellt, morgen war der Strom dran. Es waren immerhin nur noch wenige Wochen bis zum Frühling, dann brauchte er die Heizung nicht mehr. Aber was waren das für Gedanken? Wollte er wirklich vom Wetter abhängig sein, anstatt Geld zu verdienen? Er war bald Mitte zwanzig und hing wieder durch wie damals mit achtzehn, als er zum ersten Mal auf sich allein gestellt war. So durfte es nicht weitergehen, wenn er nicht als Penner enden wollte.
Zinos zog einen Jogginganzug an, darüber einen langen Wollpullover und seine Lederjacke. Er brauchte dringend Winterschuhe. In seinen Chucks machte er sich auf zum Kiez. Das also war das Paradies: ein Flachdachbau in einer Seitenstraße, die zum Hafen führte.
Zinos klingelte, er hörte nichts, die Klingel schien kaputt zu sein. Er zählte bis zehn, wenn niemand öffnete, war das hier nichts für ihn.
Bei neun öffnete ihm eine große Person mit einem goldenen Turban und einem rosigen, aufgedunsenen Gesicht, die Lippen dunkel umrandet, sonst ungeschminkt. Sie trug einen Jeansanzug mit einem Gummizug in der Taille – und war barfuß. Nie hatte Zinos jemanden gesehen, dessen Alter und Geschlecht sich so schwer einschätzen ließen.
»Ich komme von Udo Pavese.«
»Der kleene Grieche!«
»Ich bin Zinos.«
»Der kleene Grieche!«
»Ja.«
»Na, dann komm mal rin in die gute Stube! Ich bin Linde, Chef hier.«
Zinos schüttelte ihre große Hand.
»Du kannst Linde zu mir sagen.«
Linde rülpste laut.
»Entschuldige, die schlechte Musik, ich sollte das Frühschoppen lassen«, sagte sie.
Die schalldichte Tür hinter ihnen fiel zu, kein Tageslicht drang in den Flur, die paar kleinen Fenster waren verbarrikadiert. Linde ging vor ihm durch den langen Flur, an den Wänden blinkten plötzlich kleine blaue Lichter. Es war warm und roch intensiv nach Raumspray Grüner Apfel. Zinos dachte an seine Mutter; wenn sie wüsste, Wo er gerade war ...
Die Küche lag hinter der Bar, in die man über eine Ziehharmonikatür aus blauem Plastik gelangte. Vor dem schmalen Fenster war ein türkisfarbenes Rollo heruntergezogen. An der Wand hing ein Falco-Starschnitt. Linde tippte darauf und sagte:
»Meine einzige große Liebe jemals, für den hätte ich alles gemacht!«
Die Arbeitsflächen waren schmal; in der Mitte der Küche stand ein großer Tisch, die Durchreiche zur Bar war mit einer Miniwesterntür versehen. Linde sagte, Zinos werde ab und zu auch hinter der Bar stehen, wenn Toto mal wieder ausfalle. Das komme leider zu oft vor, und sowieso sei Toto leider vollkommen unfähig. Eigentlich habe er kochen sollen, aber er schaffe es nicht mal, ein Ei ohne Schale in die Pfanne zu schlagen, und selbst aus passierten Tomaten könne er keine Suppe machen, weil die Sache vorher anbrenne. Toto hatte sie gegen Dodo getauscht, eine alte Hure, die jetzt im Altenheim arbeitete und sich dort gut machte. Toto ertrug, seit er die Fünfzig überschritten hatte, keine alten Menschen mehr.
Die Mädchen kämen am frühen Mittag, berichtete Linde.
»Und wenn sie hungrig, sind, sorgst du dafür, dass sie es nicht mehr sind, wenn hier gearbeitet wird.«
»Wann ist das?«
»Na, in der Mittagspause: vorbeikommen, entspannen – und kommen. Welches Restaurant bietet das schon; bei den meisten gibt es doch nur Fisch und Fleisch von gestern und einen Espresso aufs Haus.«
»Das Mittagsgeschäft bringt am meisten ein, war bei Udo auch so«, sagte Zinos.
»Ich weiß eben, wie die Leute sich wohlfühlen, wer selber so lang gebraucht hat, sich ein schönes Leben aus dem Leben zu machen, versteht was davon. Zigarette?«
Sie steckte Zinos eine an und reichte sie ihm.
»Warum machst du kein Hotel draus?«, fragte er.
»Da bleiben die Gäste zu lang.«
Sie setzten sich an die Bar. Linde machte Kaffee.
»Es gibt ’ne Menge beschissener Jobs, und das hier ist einer davon. Aber man verdient hier besser als woanders und kann mehr schlafen. Also, willst du hier arbeiten oder nicht, Kleiner?«
»Was soll ich überhaupt machen?«
»Meine Rezepte. Keine aufwendigen Sachen. Aber anregend.«
»Sind die Typen, die hierherkommen, nicht sowieso alle ziemlich angeregt?«, fragte Zinos.
»Nicht unbedingt. Und außerdem soll es was Besonderes sein. Die Konkurrenz hier in der Nähe ist groß!«
»Und das Essen kostet extra?«
»Klar – wie die Getränke! Aber mit Geld hast du nichts zu
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