Soul Kitchen
aus ihrer Tasche und zog ihre Lippen ohne die Hilfe eines Spiegels perfekt nach, dann malte sie die Lippen knallrot aus und mit dem Konturenstift einen großen Schönheitsfleck auf die Wange. Sie grinste Zinos an; Lippenstift war auf ihren Zähnen.
»Ich hau jetzt ab, Kathinka. Mir ist kalt, und ich hab Rückenschmerzen.«
»Ich massier dich, wenn du mit zu mir kommst.«
»Nein!«
Er stand auf, sie griff nach seiner Hand und hielt sie ganz fest.
»Wann seh ich dich wieder?«, fragte sie.
»Weiß ich nicht.«
»Treffen wir uns zum Jahrtausendwechsel? Um fünf vor zwölf!«
»Das ist doch noch Jahre hin«, sagte er.
»Ja, bis dahin ist das mit Illias verjährt, dann ist es okay, wenn wir uns küssen.«
»Du bist verrückt! Was ist, wenn einer von uns mit jemandem zusammen ist?«
»Dann nicht.«
Sie ließ seine Hand los, steckte sich zwei Zigaretten in den Mund, zündete sie an, gab ihm eine und sagte:
»Abgemacht?!«
»Abgemacht! Aber wo würden wir uns treffen?«, fragte Zinos.
»An der Tankstelle auf dem Kiez?!«
»Lieber ein Ort, an dem niemand ist, wo in der Nacht keine Party ist.«
»Wo soll das sein? Im Wald?«
»Schön wär’s«, sagte er.
»Aber wenn einer von uns nicht kommt, dann steht der andere um zwölf allein im Wald rum.«
Sie verzog das Gesicht.
»Okay, dann eben die Kieztankstelle. Drinnen«, sagte er.
Kathinka sprang auf und rief:
»So machen wir es! Bei den Zeitschriften. Der, der zuerst da ist, liest was, und der andere schaut ihm über die Schulter und sagt was Witziges. So treffen sich Leute immer in Filmen wieder,«
»Ich bin aber nicht witzig.«
»Dann sagst du eben was Charmantes!«
Er wollte sie zum Abschied in den Arm nehmen. Sie wich zurück und hielt ihm die Hand hin. Er schlug ein.
»Dann vielleicht bis kurz vor Zweitausend!«, rief Kathinka begeistert und lief wieder in die Flora.
Am letzten Tag vor Weihnachten ging ein Glühwein nach dem anderen über den Tresen; die Becher gingen immer schneller aus, und der fünfzehnjährige Sohn von Biggi, der Chefin, der sonst immer half, wenn so viel los war, lag mit Pfeifferschem Drüsenfieber im Bett. Biggis Mann hatte selber einen Schmalzgebäckstand auf dem Markt. Zinos nahm nichts mehr wahr, denn er war die Glühweinmaschine, bis er plötzlich aus all dem Stimmengewirr derer, die sich unbedingt noch vorm Heiligabend die Lichter ausgießen wollten, eine Stimme heraushörte, die rief:
»Selber schuld, wenn du dich nicht bei mir meldest, oder bist du etwa immer noch wütend?«
Eine Hand umfasste Zinos’ Handgelenk, als er den Becher übergeben wollte. Udo grinste ihn an, als wäre nie was gewesen. Zinos merkte, dass er nicht mehr wütend war, als er Udo sah. Er freute sich, das war alles.
»Ich bin Heiligabend im Restaurant, komm vorbei, wenn du willst.«
»Mal sehn.«
»Was ist mit Bo, wird sie auch da sein?«
»Sie arbeitet nicht mehr bei mir.«
»Verstehe, vielleicht komm ich mal vorbei.«
»Sei pünktlich, wenn du kommst, um zwanzig Uhr hat das Kalb genug geschmort, und das Rind schwimmt seit dem Mittag in Chianti. Das lässt einer wie du sich doch nicht entgehen. Und außerdem hast du noch nie mein Weihnachtsbrot gegessen. Du liebst doch Brot, ich kenne niemanden, der so viel Weißbrot auf einmal essen kann wie du.«
Zinos war kurz vor zwanzig Uhr da, er hatte Pavese sogar eine CD gekauft: 1999 von Prince. Die Tür war offen, eine gedeckte Tafel stand in der Mitte des Raumes. Sabine faltete Servietten. Udo kam aus der Küche, stellte einen riesigen Topf ab, umarmte Zinos und haute ihm kräftig auf den Rücken. Zinos gab Sabine die Hand. Jetzt erst sah er, dass sie schwanger war. Außer den dreien waren noch ein paar Jungs aus der Küche da, die ohne ihre Familien in Deutschland lebten.
Pavese war kurz nach hinten verschwunden und kam mit einem großen Paket wieder zurück. Er streckte es Zinos voller Stolz entgegen und befahl, es sofort zu öffnen. Zinos riss das Papier auf, Tränen schossen ihm in die Augen. Es war die Lederjacke.
»Woher wusstest du ...?«
»Ich hab dich kleinen Spinner gesehen, wie du vor dem Schaufenster rumgeschlichen bist, ich hab dich beobachtet. Nicht nur an einem Tag. Ich hab gesehen, wie du auf dem Weihnachtsmarkt geschuftet hast. Du hast trotzdem gelacht, hast deine Chefin in den Arm genommen, als sie betrunken geheult hat, du hast immer weitergemacht und den Leuten noch was Nettes gesagt, wenn du ihnen ihren scheiß Glühwein gegeben hast. Es hat mich glücklich gemacht,
Weitere Kostenlose Bücher