Soul Screamers 1 - Mit ganzer Seele
den Nacken, sodass ihr die blonden Locken auf den Rücken fielen.
„Marg!“, schrie sie aus vollem Hals. Ich zuckte zusammen und umklammerte krampfhaft die Stuhllehne, während ich versuchte, meine Gefühle zu beherrschen. „Ich weiß, dass du da bist, Marg!“
Marg? Ich hatte Tante Val doch gar nicht erzählt, dass ich den Reaper gesehen hatte und sie in Wahrheit eine Frau war. Und nicht einmal ich hatte ihren Namen gekannt – bis jetzt!
Und auf einmal fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Tante Val kannte den Namen der Reaperin, weil sie diejenige war, die sie angeheuert hatte!
Nein! Ich weigerte mich, das zu glauben, es war einfach zu schrecklich! Tante Val war in den letzten dreizehn Jahren so etwas wie eine Mutter für mich gewesen. Sie liebte mich, sie liebte Sophie und Onkel Brendon! Sie würde sich nie auf einen Deal mit einem Reaper einlassen, geschweige denn mit den Seelen Unschuldiger handeln!
Andererseits trank sie, stellte seltsame Fragen … Sie hatte die ganze Zeit gewusst, warum die Mädchen starben.
„Das gehört nicht zur Abmachung!“, schrie meine Tante und hob die Fäuste. Ob aus Furcht oder Zorn, ich konnte es nicht beurteilen. „Zeig dich, du Feigling! Das kannst du nicht tun!“
Aber da hatte sie sich getäuscht.
21. KAPITEL
Tante Vals Schrei gellte mir noch in den Ohren, als die Beine unter Sophie nachgaben. Im Fallen schlug sie mit dem Hinterkopf auf der Kante des Beistelltischs auf und stürzte auf den Boden. Ich hörte einen dumpfen Aufprall. Blut tropfte von ihrem Haar auf den weißen Teppich.
Ihre Eltern bekamen davon nichts mit. Onkel Brendon sah sich wie besessen im Zimmer um, als verstecke sich der Reaper hinter einem Sessel oder der Zimmerpflanze. Tante Val starrte an die Decke und befahl Marg, sich zu zeigen und sich zu rechtfertigen.
Als ob Reaper vom Himmel gefallen wären.
In dem Moment, als Sophie starb, bahnte sich ihr Seelenlied den Weg aus meiner Kehle, und ich würgte in dem Versuch, es aus alter Gewohnheit zurückzuhalten.
Tante Val bemerkte es und wirbelte herum, um nach ihrer Tochter zu sehen. „Nein!“, schrie sie so laut, wie ich noch nie einen Menschen hatte schreien hören.
Dann fiel sie neben Sophie auf die Knie. „Wach auf, Sophie!“ Sie strich ihrer Tochter ein paar blonde Haarsträhnen aus dem Gesicht, und plötzlich klebte Blut an ihren Fingern. „Marg, bring das wieder in Ordnung! Das war nicht ausgemacht!“
„Sophie!“ Onkel Brendon fiel neben seiner Frau und dem leblosen Körper seiner Tochter auf die Knie, während Nash und ich die Szene nur stumm vor Entsetzen beobachteten. Mein Onkel warf mir einen flehenden Blick zu, aber ich begriff nicht, was er von mir wollte. Ich war zu sehr damit beschäftigt, den Schrei zu kontrollieren.
Nash kauerte sich neben den Stuhl, auf dem ich saß, und sah mir tief in die Augen. „Lass ihn raus“, flüsterte er. „Zeig uns ihre Seele, damit wir sie leiten können!“
Also sang ich für Sophie.
Ich sang für eine Seele, die zu früh aus unserer Mitte gerissen worden war, für den Verlust eines so jungen Lebens. Für kinder-loseEltern und für ein Mädchen, das nie mehr die Gelegenheit haben würde zu entscheiden, wer und was sie einmal sein wollte. Für meine Cousine, meine Ersatzschwester, deren scharfe Zunge jetzt nicht mehr mit dem Alter sanfter werden konnte.
Während ich sang, wurde das Licht irgendwie schwächer, obwohl ich keinen nennenswerten Unterschied in den Glühbirnen erkennen konnte. Der gesamte Raum bekam einen Graustich, wie die Turnhalle am Morgen, und ich sah mich vorsichtig um. Ich hatte schreckliche Angst davor, dunkle, missgestaltete Kreaturen im Haus zu entdecken.
Es gab keine. Ich sah die Unterwelt, aber sie war irgendwie … leer.
Noch beunruhigender als das waren die Geräusche. Oder besser gesagt, das Fehlen von Geräuschen! Außer meinem Gesang war nichts zu hören, fast so als hätte jemand auf einer kosmischen Fernbedienung den Ton abgeschaltet. Nach ein paar Sekunden hörte ich mich nicht einmal mehr schreien, obwohl mir das Brennen in der Kehle und in den Lungen bewies, dass ich in Wahrheit aus vollem Hals wehklagte.
Nash wich mir nicht von der Seite. Er hielt die ganze Zeit über meine Hand und ließ sich von dem unmenschlichen Schrei aus meinem Mund nicht beeindrucken. Mein Vater stand ganz still da und fixierte die Seele meiner Cousine, ein formloser blassrosa Umriss, der mehr als einen Meter hoch über ihrem Körper schwebte und flatterte wie ein
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